Ertappt und gerettet – von unserer Verschwendung zu Lösungsansätzen für die Welternährung. Interview mit Valentin Thurn


Lieber Valentin, wir sind von Deiner Arbeit restlos begeistert. Eigentlich von jedem einzelnen Film. Berühmt bist Du mit „Taste the Waste“ geworden. Was glaubst Du, hat die Menschen so daran begeistert?

Vor 2011, als der Film rauskam, wurde das Thema Lebensmittelverschwendung einfach nirgendwo thematisiert. Eigentlich erstaunlich. Aber es gab kein Amt, keine Organisation, kein Unternehmen… es war in der Öffentlichkeit einfach nicht existent. Müll generell schon, aber nicht Lebensmittelverschwendung. Als wir den Film dann das erste Mal gezeigt haben, meinte ein Kinogast: „Man fühlt sich irgendwie ertappt.“ Und ich glaube, genau das ist der Punkt! Ich habe mit meinem Film etwas aufgegriffen, das eigentlich bekannt war. Es wollte aber niemand genauer wissen. Ich glaube, deshalb hat der Film dann letztendlich auch solche Wellen geschlagen. Und das sogar weit über diejenigen hinaus, die den Film tatsächlich gesehen haben.

Ja, Dein Film berührt einfach dieses ungute, schlummernde Gefühl in jedem von uns. Und jetzt? Glaubst Du, dass sich die Wertschätzung für gute Lebensmittel (und damit meinen wir natürlich nicht teure, sondern ordentliche Produkte) derzeit verbessert?

Ja. Auch wenn in Deutschland noch nicht mal das System angekratzt wurde. Es gibt aber eine Vielzahl von Initiativen. Von kleinen Start-ups bis zu großen Weltkonzernen, die in ihrem Bereich voranschreiten. Und das in kürzester Zeit. Wir haben wirklich zwei Jahre nach „Taste the Waste“ schon einen Nachfolgefilm gemacht: „Die Essensretter“. Und würde ich heute, ein Jahr später, wieder einen Film produzieren, wir hätten noch mehr gute Beispiele, die wir präsentieren könnten. Es entsteht ständig Neues, das hoffen lässt. Trotzdem, es ist natürlich ein gesamtgesellschaftliches Problem, das mit Einzelinitiativen nicht gänzlich gelöst werden kann. Aber auch auf Seiten der Verbraucher gibt es einen Wandel im Sinne von mehr Wertschätzung. Es müsste allerdings auch ein entsprechender Rahmen von Seiten der Politik geschaffen werden. Das hat allerdings noch nicht stattgefunden. Dafür müsste man sich auch mit einigen Interessen anlegen, was bisher vermieden wird.

Welchen Beitrag könnte die Politik denn leisten?

Die Politik müsste nicht gleich so weit gehen wie in Belgien, obwohl es natürlich klasse wäre. Dort hat die Regierung den Supermärkten schlicht verboten, Lebensmittel zu entsorgen. Sie haben dort die Pflicht nach Lösungen zu suchen. Es würde aber auch schon reichen, sich an England zu orientieren, einem Land, das ja nicht gerade bekannt ist für Regulierung, und in dem man mit der Wirtschaft eher mit Samthandschuhen umgeht. Trotzdem hat dort die konservative Regierung erreicht, durch Kampagnen eine Stimmung zu schaffen, dass die Supermarktketten aktiv werden mussten. Sie haben nun alle Strategien zur Müllvermeidung initiiert und selbst wiederum Kampagnen gestartet, die wirklich jeden erreichen. Die Regierung hat das geschafft, durch die Gründung von einem Institut, das ordentliche Studien gemacht hat auf denen der Staat seine Kampagnen dann sehr gut begründet aufbauen konnte. Es gab in England allerdings einen gewissen Druck, den wir hier nicht haben. Dort waren die Müllkippen einfach voll. Aber dennoch, die Verbraucher könnte man in Deutschland ganz genauso von staatlicher Seite erreichen.

Und was machen wir in der Zwischenzeit? Ich meine, bis die Politik aktiv wird?

Bis dahin können wir als Wähler einen Beitrag leisten und Maßnahmen einfordern. Wir haben zum Beispiel eine kleine Koalition geschmiedet mit dem WWF, der Welthungerhilfe, Foodsharing und den Tafeln. Für den 13. September ist ein großes Essensretterbankett vor dem Reichstag in Planung. Du siehst, ich habe sozusagen bei diesem Thema meine Zurückhaltung als Journalist aufgegeben und bin zum Aktivisten geworden. Das hat einfach damit zu tuen, dass ich wirklich sehr betroffen bin.

Ja, und über diese Schiene lässt sich wahrscheinlich auch wirklich etwas erreichen.
So hoffen wir.

Quelle: Brigitta Leber

Gerade arbeitest Du wieder an einem neuen Film. Mit welcher Mission? Verrätst Du uns schon ein klein wenig davon?

Der Film hat den Arbeitstitel „10 Milliarden“ und es geht um die Frage, wie man eigentlich all die Menschen ernähren kann, die bis Mitte des Jahrhunderts auf der Welt leben werden. Und essen wollen. Brauchen wir noch mehr Chemie? Gibt es andere Ansätze? Was kann die Biolandwirtschaft leisten? Ein bißchen sehe ich diesen Film als einen Auftrag, den mir diejenigen gegeben haben, mit denen in ich nach „Taste the Waste“ gesprochen habe. Die Diskussionen fingen bei der Problematik von Haltbarkeitsdaten an und hörten in der Regel beim Welthunger auf.

Natürlich gibt’s auch andere Filme von Dir. Welcher sollte noch viel mehr geschaut werden?

Ein besonders gruseliges Thema, mit dem sich niemand gerne beschäftigt, haben wir im Januar 2014 als Wissenschafts-Feature veröffentlicht. Da geht es um Tierstallkeime. Um Antibiotikaresistenzen. Oder, was fällt mir noch ein? Ein Film, den ich letztens produziert habe… bei dem ich allerdings nicht selbst Regie geführt habe… Er greift eine, wie ich finde, weitergehende Frage auf: Ist es nicht unser Wirtschaftssystem mit dem ständigen Wachstumszwang, das die Triebfeder ist für viele unserer Probleme? Wir beschäftigen uns dort mit der Frage, ob man nicht an dieser Stelle ansetzen müsste. Der Film heißt „Weniger ist mehr“.

Oh ja, den kennen wir gut. Haben auch bereits etwas darüber geschrieben. Sehr gelungen.

Das freut mich zu hören. Und diesen Film gibt’s auch über www.filmsortiment.de auf DVD. Genau wie meine Essensreste-Filme.
Was hältst Du von unserer Idee des Selbstversuchs? Was ist Dein Eindruck von unserer Nachhaltigkeitschallenge 2014? Unser Ziel ist es „am eigenen Leib“ mit so vielen Mitstreitern wie möglich zu erleben wie es ist, konsequent Nachhaltigkeitsaspekte in unserem Konsumverhalten zu verankern. Es gibt allerdings viele, viele Dilemata. Bio in allzu viel Verpackung. Vegane Kunstprodukte, etc… Wir versuchen langsam zu einer guten Balance zu finden und möchten einen Aufsatz darüber schreiben, was die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Hürden für nachhaltigen Konsum sind.

Inwiefern hat Deine Arbeit Deine eigenen Konsummuster eigentlich verändert?

Eure „Bio on a budget“-Challenge ist spannend. Eine Münchner Kollegin von mir hat das Buch “Arm, aber Bio!” geschrieben. Und sie hat vor allem festgestellt, dass es mit einem ordentlichen Fleischkonsum schwierig ist. Ich selbst bin froh, dass ich finanziell nicht knapsen muss. Aber ich habe aus freien Stücken meinen Fleischkonsum extrem gedrosselt. Es hat bei mir etwas mit Wertschätzung zu tuen. Supermarkthühnchen für 2,99 Euro möchte ich einfach nicht mehr essen. Ich habe auch gesehen, wie diese Hühner gehalten werden. Das geht einfach nicht in meinen Kopf. Auch wenn ich eigentlich sehr gerne Fleisch essen. Früher habe ich mir eigentlich täglich was gebrutzelt. Aber es geht einfach nicht. Und ganz ehrlich, so richtig vermisse ich es auch nicht mehr.

So geht es uns mittlerweile auch.

Und grundsätzlich möchte ich eine Lanze brechen für’s Selberkochen. Wenn man ordentlich und vor allem unverarbeitet einkauft und selbst kocht, schont man einiges an Ressourcen. Das Schlimmste ist ja eigentlich, Produkte wegzuschmeißen, die sehr ressourcenintensiv produziert wurden. Fleisch, stark verarbeitete Produkte, etc.

Welche unserer geplanten Challenges erscheinen Dir besonders interessant?

Ich bin gespannt auf eure „Go local“-Challenge. Das ist gar nicht so einfach. Man muss ein wenig schauen… aber dann findet man spannende Initiativen. Wir haben gerade die Internetplattform www.tasteofheimat.de ins Leben gerufen. Dort geht es von der Erzeugung bis zum Verkauf um lokale Lebensmittel. Es soll ein Führer durch den Dschungel der verschiedenen Angebote sein. Wir haben einen Taste-o-Mat entwickelt, mit dem jeder identifizieren kann, was für ihn oder sie passend ist. Bisher ist Köln als Pilot gestartet. Wir weiten das Angebot gerade auf Düsseldorf aus. Die Vollversion wird’s zum Kinostart im Herbst geben.

Na dann, liebe Mitstreiter, ran an den Taste-o-Mat. Spätestens sobald unsere Challenge im Juli beginnt. Hast Du sonst noch Tipps, wie wir unsere Challenges noch intensiver ausgestalten können?

Ich kann euch auch sehr ans Herz legen, ein paar Tage aus einem Supermarktcontainer zu leben. Klar, das ist nicht jedermanns Sache. Meine ist es nicht, das gebe ich zu. Aber was ich wirklich jedem empfehlen kann, ist einfach mal den Blick in einen solchen Container zu werfen. Das ist Volksbildung. Wirklich. Und toll war natürlich auch die Schnippeldisko in Düsseldorf. Da hätten wir uns eigentlich auch schon kennenlernen können.
Es gibt, auch in der Stadt, tolle Initiativen. Zum Beispiel Selbstversorgermodelle, solidarische Landwirtschaftsinitiativen, und, und, und…

Und für Euch, ob nun Finding Sustainia, die Nachhaltigkeitschallenge 2014, Meyer&Meyer, Think Tank 30… ich denke, dass man den größten Erfolg dann hat, wenn man Interessierten die Möglichkeit gibt, sich selbst einzubringen. Interaktivität halte ich für ganz wichtig. Auch wenn sich dann etwas entwickelt, was vielleicht gar nicht geplant war. Wir haben zum Beispiel eine Plattform geschaffen, die wir „Foodsharing“ genannt haben. Es ging uns eigentlich nur um den Austausch von Lebensmitteln zwischen privaten Haushalten. Mittlerweile ist das ein Begriff, der überhaupt nicht mehr mit mir verbunden wird. Es ist zu einer Art sozialen Bewegung geworden. Das hat sich komplett verselbstständigt. Es gibt jede Menge lokale Facebook-Gruppen und auch sehr unterschiedliche Konzepte, die mittlerweile alle unter den Begriff „Foodsharing“ fallen. Ich würde mich sehr freuen, wenn uns ein ähnlicher Erfolg mit „Taste of Heimat“ gelingen würde.

Valentin, tausend Dank für all diese Inspirationen! Es ist großartig, mit Dir zu sprechen. Vielen Dank, vor allem auch für die Zeit, die Du Dir genommen hast. Hast Du noch ein Schlusswort für uns?

Ob „10 Milliarden“ oder „Taste of Heimat“ – ich bin fest davon überzeugt, dass globale Probleme lokale Lösungen haben.

 


 

tt30-logoWeitere Infos und jede Menge Interaktion findet Ihr auch auf der Facebookseite „Die Nachhaltigkeitschallenge 2014„, über Twitter unter @Finding_S und über den Blog der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome. Und ja, einen Hashtag gibt’s auch:#FS_NC14

 


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