Meyer&Meyer fragen: Frau Raether, ZEIT-Autorin, dürfen wir Sie herausfordern?


Sehr geehrte Frau Raether,

wir haben Ihren Artikel „Her mit der Wurst“ gelesen, der in der Print-Ausgabe des Zeit-Magazin „Ran an die Buletten“ heißt. Veröffentlicht wurde er am 17. Juli 2014 und wir haben ihre Zeilen und den darauf folgenden Aufschrei mit großem Interesse – und ja, auch ein wenig Amusement – verfolgt. Ähnlich war es damals mit einem Artikel von Spiegel-Autor Nils Klawitter, der seine Argumentation der These widmete, dass vegane Lebensmittel salzig, fettig und ungesund seien. Abgesehen davon, dass er außen vor ließ, dass Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Getreide auch vegan sind, regte er unser gesamtes Umfeld zu heftigen und teils sehr emotionalen Diskussionen an. Damals machten wir ihm ein, sagen wir mal, moralisches Angebot. Und auch jetzt juckt es uns in den Fingern, Sie mit ein paar Zeilen herauszufordern.

Der Höflichkeit halber sollten wir uns jedoch erst einmal vorstellen: Wir heißen Anna Katharina Meyer und Santa Meyer-Nandi. Anna ist Politologin und Santa auf EU-Umweltrecht spezialisierte Juristin. Seit Januar 2014 unterziehen wir uns einem Selbstversuch, der vom Think Tank 30, dem jungen Club of Rome unterstützt wird. Wir nennen ihn den Meyer&Meyer Selbstversuch, vor allem um deutlich zu machen, dass es um Themen geht, die eigentlich jeden tangieren. Unsere Allerweltsnamen sind da sehr passend. Seit Mai betreuen wir zusätzlich die Nachhaltigkeitschallenge 2014, bei der wir nun auch diverse Co-Challenger an unserer Seite haben. Anna war vor dem Selbstversuch Vegetarierin und tendiert mittlerweile mit der Ausnahme von etwas Käse und Eiern zu einem veganen Speiseplan. Santa lebt die meiste Zeit vegan, isst aber ab und an ein Stück Fleisch biologischer Herkunft. Unsere jeweiligen „Monatsaufgaben“ gehen von einer rein regionalen Ernährung über Konsumverzicht, einer Plastikdiät hin zu einer fleischlosen Ernährung. Auch einen Monat „bio on a budget“ (5 Euro am Tag) haben wir schon hinter uns. Wir sind in den jeweiligen Monaten in einem engen Austausch mit denen, die sich schon länger mit dem entsprechenden Thema beschäftigen, zum Beispiel mit der Veganerin Susanne Schwan, deren Einstellung uns beeindruckt hat. Hier das Interview mit ihr. Wir würden gerne ein paar unserer Erfahrungen während unseres Selbstversuchs und der damit einhergehenden intensiven Recherche mit Ihnen teilen.

Fangen wir mit der Gesundheitsfrage an: Ein wenig Fleisch, also zum Beispiel ein Stück Sonntagsbraten oder Steak in der Woche, wären tatsächlich innerhalb einer abwechslungsreichen Vollwertkost als gesund zu erachten. Schon allein weil man über die vegane Ernährungsweise schlecht an die Vitamine B12 und D (außer über Tabletten) kommen kann. Wir können uns kaum vorstellen, dass die Mehrzahl der Veganer das bestreiten würden. Auf der anderen Seite wissen wir, dass kaum jemand aus einer Laune heraus zum Verzicht von tierischen Produkten motiviert ist, oder nur weil es gerade ein innerstädtischer Trend zu sein scheint. Wir sind fest davon überzeugt, dass es gute Gründe gibt. Sehr gute sogar!

In den meisten Fällen geht es darum, dass eine pflanzliche Ernährung den Werten derjenigen, die sich zu einer Umsstellung entscheiden, eher entspricht. Ja, es geht um Werte! Und die sind in der Regel nicht vom Tisch zu wischen. Sei es, dass sie grundsätzlich die Ausbeutung von Tieren für das menschliche Wohl für überflüssig halten, sei es, dass sie das System der zum größten Teil industriell geprägten Landwirtschaft kritisieren, oder auch aus Umwelt- und Klimagründen verzichten. Genauso sind Gesundheitsgründe nicht selten. Ein Veganer lebt zum Beispiel meistens gesünder als so mancher Vielfleisch-Esser. Die von uns so eben genannten Gründe für eine vegane oder vegetarische Lebensweise erachten wir allesamt für legitim.

grndeQuelle: Janson-Karikatur

Nach unseren Erfahrungen des ersten halben Jahres ist uns zudem mehr und mehr bewusst geworden, dass vor allem die Umstellung der Ernährung einen gewissen Grad an Verzicht ausmacht. „Der Verzicht wäre kein geringer“, schreiben Sie. Diesbezüglich stimmen wir Ihnen erst einmal zu. Ob wir, wie Sie fragen, eine moralische Pflicht haben, uns am Leben zu erfreuen, sei dahingestellt und trägt eher religiös-spirituelle Züge. Uns ist jedoch sehr wichtig zu betonen, dass es moralische Grenzen gibt. Und, ganz nebenbei gesagt, haben wir in über sechs Monaten keinen einzigen Vegetarier oder Veganer kennengelernt, der seinen Verzicht aufs Tier als einen Glücks-Verzicht erlebt. Viel eher haben wir eine neue Welt an Geschmackserlebnissen kennenlernen dürfen. Die Welt des Internets ist voll von großartigen Blogs mit veganen Rezepten. Ebenso wie die Buchläden. Es existiert, das gute Leben – auch ohne Wurst.

Ob Tiere Gefühle haben, mag vielleicht nicht wissenschaftlich belegt sein, aber wir halten es trotzdem für ein durchaus valides Argument. Tiere reagieren auf Zuneigung, aber auch auf negative Impulse. Weiterhin verhalten sie sich fürsorglich ihren Kindern gegenüber. Vielleicht mag es ein Instinkt sein, so wie vielleicht auch unsere Gefühle der Liebe Instinkt sind. Wissen kann man so vieles nicht bis ins letzte Detail, entsprechendes jedoch für falsch zu halten, erscheint uns fragwürdig.

???????????????????????????????Eine weitere Kritik sehen wir in der Rolle des Verbrauchers, die sie in gewisser Weise kleinreden. Wer sich klein macht, braucht keine Verantwortung zu übernehmen. So war es eigentlich immer schon. Beziehungsweise wurde es immer schon so verstanden – und hat zu Entwicklungen geführt, die im Rückblick sehr tragisch waren. Wenn wir alle 200g Fleisch in der Woche essen würden und das Fleisch eher 20 Euro als 2,50 Euro pro Kilo kosten würde, müsste es gar nicht zu diesen unglaublichen Haltungsbedingungen von Nutztieren kommen, um den „absurd niedrigen Fleischpreis“ aufrecht zu halten. Und wir alle sind in einer durch und durch kapitalistischen Welt aufgewachsen, in der man produziert, was gekauft wird! Wir teilen ihr Argument, dass Mist tatsächlich eine gute Düngung ist und Kühe wohl eher nicht ausschließlich für diesen Grund gehalten würden. Es gibt jedoch Konzepte und Initiativen, die Lösungsansätze bereit halten. In der Realität jedoch isst nur ein Bruchteil unserer Bevölkerung selten Fleisch. Wie Sie sicherlich wissen, ist es immer noch eine Ausnahme in Restaurants und bei Veranstaltungen sinnvolle vegetarische Alternativen zu finden. Genau das haben wir in unserem Selbstversuch als großes Problem identifiziert. The sustainable choice needs to be the easy choice. Das ist die Veränderung, die wir für nötig hielten. Denn vom Grundsatz her ist es gar nicht so kompliziert auf tierische Produkte zu verzichten bzw. sie einzuschränken. Es wird unserer Meinung nach einfach künstlich erschwert. Es hat sich vielleicht auch einfach so eingeschlichen in die „moderne“ Gesellschaft. Zu einem guten Essen gehört Fleisch, auf den Grill gehört Fleisch, im Imbiss dominiert Fleisch und die Kleinen bekommen zur Belohnung eine Fleischwurst. Die meisten von uns essen Fleisch aus schlechter Haltung, mehrfach täglich, einfach so. Seit 1950 ist die globale Fleischproduktion circa um das fünffache gestiegen! Warum eigentlich? Um gesünder zu leben oder die Wirtschaft anzukurbeln? Wir müssen Ihnen zustimmen, dass es schade ist, dass die meisten Fleischesser sich nicht vor Augen führen, dass sie gerade ein totes Tier verspeisen und tatsächlich lassen einen Filet und verarbeitete Fleischwaren wie die gute alte Wurst vergessen, dass es sich um Stücke eines Tieres handelt; vor allem wenn sie noch in Styropor und Folie verpackt in den Auslagen unserer Discounter liegen. Glauben Sie wirklich, dass die Dumping Preise von Fleisch nur an der Fleisch-Lobby und dem Laissez Faire des Bundeslandwirtschaftsministers liegen und wir „verfressenen“ Verbraucher nur Opfer sind?

fleischkonsum pro kopf

Unserer Meinung nach ist der Boykott von konventionell produzierten Fleischwaren ein absolutes Muss. Ob das bedeutet, dass man vegan/vegetarisch lebt oder nur selten, aber dafür Fleisch aus artgerechter Tierhaltung isst. Ob man es politisch oder persönlich motiviert tut. Im stillen Kämmerlein oder so öffentlichkeitswirksam wie möglich. Auch wenn es stimmt, dass Grasland vor allem für die Haltung von Rindern geeignet ist, so könnten wir das Land, das derzeit dazu verwendet wird, um Getreide und Soja als Futtermittel  anzubauen, für Ackerbau zur Ernährung von Menschen nutzen. Durch das stetige Bevölkerungswachstum müssen immer mehr Menschen mit der durchschnittlich empfohlenen Menge von 2500 Kalorien an Nahrungsenergie versorgt werden. Momentan ist jedoch knapp 60 Prozent der Getreideernte für den Einsatz als Futtermittel bestimmt. Pro Kilo Rindfleisch müssen circa 10 Kilo Getreide an die Tiere verfüttert werden und es entsteht ein Bedarf von circa 100.000 Litern Wasser (zum Vergleich: um ein Kilo Kartoffeln zu produzieren braucht man 500 Liter Wasser). Und so nahrhaft ist ein Stück Fleisch dann auch wieder nicht, vor allem in Massen verzehrt.
Und ja, man, also wir Konsumenten, sollten die EU-Politik in Frage stellen und ja, wenn wir Fleisch essen, sollte vom Tier nicht soviel weggeschmissen oder nach Afrika geschickt werden, weil die Menschen dort nicht nur Hühnerbrust essen, sondern alles andere auch. Zu all diesen Themen empfehlen wir die Lektüre des Fleischatlas 2014.

Und zum guten Schluss möchten wir noch kurz auf Ihre Einleitung eingehen. Sätze wie  „Fleischlose Ernährung soll besser sein: für die Umwelt, die Gesundheit, die Moral. Das stimmt nur leider nicht. Sieben Gründe, warum Vegetarier und Veganer falsch liegen.“ entsprechen unseres Erachtens nach absolut nicht der Diskussionsebene, die wir eigentlich von der Zeit erwarten. Wir finden, dass Sie vor allem argumentieren, unter welchen Bedingungen Fleischkonsum okay wäre, allerdings sind diese Bedingungen heute einfach nicht gegeben. Die 60 Kilo Fleisch, die der Durchschnittsdeutsche pro Jahr verzehrt, können absolut nicht unter artgerechten Bedingungen und einer hauptsächlichen Weidehaltung gewährleistet werden. Zudem zielen Ihre Argumente (Mist, Grasland) vor allem auf Rinder ab, klammern aber aus, unter welchen Bedingungen Geflügel und Schweine gehalten werden, die laut Fleischatlas einen unleugbar großen Anteil auf unseren Tellern darstellen. Zwar haben Sie explizit darauf hingewiesen, dass Fleisch aus guter Haltung verzehrt werden sollte, aber der Teaser und die Überschriften lassen auf den ersten Blick eher Gegenteiliges vermuten. Ihre Argumentation trifft also nur dann zu, wenn der Konsument selten, also z.B. einmal pro Woche bio (-dynamisches ) Rindfleisch aus Weidehaltung essen würde. Wie wir schon vorher erwähnt haben, ist der deutsche Otto-Normalverbraucher allerdings weit weg von diesem reflektierten „Wenig, aber gut-Fleischesser“ und unsere Gesellschaft muss absolut nicht befürchten, zu wenig Mist für die Düngung zur Verfügung zu haben, selbst wenn weniger Fleisch (und dann vor allem nur aus artgerechter Haltung) gegessen und mehr Leute vegan oder vegetarisch werden würden.

tiermengen

Und genau aus diesem Grund schreiben wir Ihnen. Öffentlich. Es ist nicht egal, was veröffentlicht wird. Es prägt die Gesellschaft und entsprechend unsere Zukunft. Wir glauben daran, dass die Presse einen Vorbildcharakter haben sollte und der von Ihnen gewählte Einstieg lässt eine reflektiert ausgewogene Beschäftigung mit dem Thema kaum zu. Dabei wäre sie so wichtig. Ihnen möchten wir aus diesem Grund folgendes Angebot machen: Lassen Sie sich darauf ein, im September an unserer Nachhaltigkeitschallenge 2014 teilzunehmen? In diesem Monat planen wir mit vielen Anderen zusammen auf tierische Produkte zu verzichten. Einfach um zu erfahren, wie es ist. Einen Monat der Auseinandersetzung mit diesem Thema. Na, was halten Sie davon? Besonders würden wir uns natürlich freuen, wenn Sie im Anschluss über Ihre Eindrücke berichten würden. Wir sind auch offen für eine Diskussion. Was meinen Sie?

Über eine Antwort, die wir gerne veröffentlichen würden, freuen wir uns sehr!

Mit freundlichen Grüßen
Santa und Anna, die Meyer’s

Weitere Infos und jede Menge Interaktion findet Ihr auch auf der Facebookseite „Die Nachhaltigkeitschallenge 2014“ und über den Blog der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome. Und ja, einen Hashtag gibt’s auch: #FS_NC14

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