Beziehungen, Gesundheit und Nachhaltigkeit


Es gibt viele Forschungsgebiete, die aufzeigen, wie unser Kontakt und die Beziehungen zu uns selbst, anderen und zur Umwelt die Gesundheit beeinflussen.

Maya Cosentino hat in den letzten Jahren die Auswirkungen der sozialen und mikrobiellen Umwelt auf die Gesundheit erforscht. Wir kennen sie durch unsere gemeinsame Mitgliedschaft im Think Tank 30, dem jungen Think Tank des Club of Rome, und haben sie für Euch befragt.

Beeinflussen Beziehungen unsere Gesundheit?

In Kulturen, die Prinzipien des Individualismus und der strengen Körperhygiene fördern, mag die Vorstellung, dass sozial isolierte Menschen eine kürzere Lebenserwartung haben und dass unsere Gesundheit von Bakterien in unserem Darm abhängt, überraschend sein. Aber die Forschung zeigt tatsächlich, dass mangelnde soziale Beziehungen ein Sterberisiko darstellen, das dem Tabak- und Alkoholkonsum ähnelt und schwerwiegender ist als körperliche Inaktivität und Fettleibigkeit.

Bakterien und andere Mikroorganismen im Darm beeinflussen signifikant zusammenhängende physiologische Prozesse wie die Entwicklung und Regulation des Immunsystems, die Gehirnfunktion und die Gene. Eine große Anzahl von Studien, die vorwiegend an Tieren durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass die Darmflora über neuronale, hormonelle und immunologische Wege auch die Stimmung und das soziale Verhalten beeinflusst.

Glaubst du, dass unsere Beziehungen für sozial-ökologische Prozesse und Nachhaltigkeit relevant sind?

Ich glaube, dass die Einflüsse sozialer Beziehungen nicht nur auf die Gesundheit, sondern auch auf das Verhalten unterschätzt werden. Wenn wir erkennen, dass die menschliche Gesundheit und das menschliche Verhalten untrennbar mit der Beziehung eines Individuums zu sich selbst, anderen und der Umwelt verbunden ist, beginnen wir, über unsere Wahrnehmung der Realität und unser Verhalten anders zu denken. Das Bewusstsein für unsere Beziehungsabhängigkeit ermöglicht es uns, die Welt durch eine systemorientierte Perspektive zu betrachten und zu verstehen.

Wenn Menschen weniger direkt miteinander über Social Media und weniger direkt mit der Erde über mikrowellenfertige Tiefkühlgerichte in Verbindung treten, ändert sich unser Verständnis und unsere Erfahrung von Beziehungen. Der direkte, intime Kontakt mit dem Leben, das uns nährt und erhält, wird immer weniger notwendig, obwohl er für unsere Gesundheit von grundlegender Bedeutung ist.

Die Forschung zeigt zum Beispiel, dass Social Media die realen Interaktionen und Beziehungen, die wir benötigen, um ein gesundes Leben zu führen, nicht ersetzen können. Die sozialen Beziehungen in der realen Welt sind positiv mit dem Wohlbefinden verbunden und beeinflussen die Aktivität des Immunsystems sowie das Fortschreiten von Krankheiten. Die aktive Facebook-Nutzung hingegen ist mit einem (mit der Zeit) abnehmenden Wohlbefinden verbunden. Genauer gesagt, sind Status-Updates mit einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit verbunden. Die Reaktion auf die Beiträge anderer und das Anklicken von Links ist mit einem Rückgang der selbstberichteten Gesundheit (physisch und psychisch) und der Lebenszufriedenheit verbunden.

Was meinst du mit systemorientierter Perspektive?

Das systemorientierte Denken erkennt, dass die Welt aus miteinander verbundenen und voneinander abhängigen Systemen besteht und dass die Veränderung eines Teilsystems in der Regel das gesamte System betrifft. Mikrobielle Umgebungen können beispielsweise als integrale Systeme innerhalb der Ökosysteme der Erde betrachtet werden, die für die Gesundheit verschiedener Umgebungen lebenswichtig sind, einschließlich des Bodens, der uns die Nahrung liefert, die wir essen.

Welche Rolle spielt Ernährung bei der Erhaltung der Gesundheit?

Die EAT-Lancet-Kommission (eine Ernährungsinitiative unter der Leitung von The Lancet, einer der renommiertesten medizinischen Zeitschrift der Welt) erkennt Ernährung als einen wichtigen weltweiten Faktor für nicht übertragbare Krankheiten und Sterblichkeit an. Weltweit wird geschätzt, dass 2 Milliarden Erwachsene übergewichtig oder fettleibig sind, 0,8 Milliarden Menschen hungern und 2 Milliarden Menschen einen Mikronährstoffmangel haben. Die Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen schätzt, dass die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 um rund 50 Prozent steigen muss, um die erwartete Weltbevölkerung von fast 10 Milliarden Menschen zu versorgen.

Da das derzeitige Ernährungssystem, insbesondere die Tierproduktion, indirekt für etwa 30 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, wird die Intensivierung der landwirtschaftlichen Praktiken zur Steigerung der Pflanzenproduktion große Herausforderungen im Zusammenhang mit der Erhaltung der biologischen und physikalischen Bodenqualität und der Vermeidung von Nahrungsmittelknappheit darstellen.

So wie landwirtschaftliche Praktiken die Mikroorganismen und die Gesundheit von Boden und Pflanzen prägen, beeinflusst die Ernährung die Mikroorganismen und die Gesundheit von Mensch und Tier. Eine hohe Aufnahme der Inhaltsstoffe vieler verarbeiteter Lebensmittel, einschließlich raffinierter Getreide, Zucker, künstlicher Süßstoffe und Fette, ist mit negativen Veränderungen der menschlichen Darmflora sowie einer Vielzahl von negativen gesundheitlichen Folgen verbunden. Der Verzehr von künstlichen Süßstoffen ist beispielsweise mit Veränderungen der Darmflora verbunden, die mit Typ-2-Diabetes sowie der Entwicklung von Glukoseintoleranz in Zusammenhang gebracht werden.

Was wir essen, hat und wird auch weiterhin einen erheblichen Einfluss auf die globalen und persönlichen Gesundheits- und Umweltprobleme haben, mit denen wir konfrontiert sind

Wir sind fasziniert von der Rolle der Bakterien in unserem Körper und in der Umwelt. Kannst du uns mehr über Bakterien erzählen und wie sie unser Wohlbefinden beeinflussen? 

Mikroorganismen besiedeln Menschen, Tiere und Pflanzen und beeinflussen deren Physiologie. Die biologische Vielfalt der Mikroben ist mit der Gesundheit verbunden. Der Mensch steht in unbewusstem, aber engem Kontakt mit Mikroben, von denen die meisten Bakterien im Darm sind. Die Nahrungs- und Umweltbelastung durch Bakterien und andere Mikroorganismen beeinflusst die Darmflora, die aus Billionen von Mikroorganismen besteht, etwa so viele Organismen wie Zellen im menschlichen Körper. Diese Mikroben sind wie eine Verbindung oder Brücke zwischen dem Körper und der Umwelt. Sie schützen uns vor krankheitserregenden Mikroorganismen und unterstützen die Verdauung und Absorption von Lebensmitteln.

Die Darmflora beeinflusst physiologische Prozesse wie die Entwicklung und Regulation des Immunsystems, die Gehirnfunktion und die Gene. Veränderungen der Darmflora (z.B. durch Antibiotikabehandlung) sind mit der Entstehung verschiedener, häufiger körperlicher und psychischer Erkrankungen und Infektionen verbunden. Menschen, die in der Kindheit einer Vielzahl verschiedenster Bakterien ausgesetzt sind, z.B. durch die Exposition gegenüber der Geburtskanalflora, den Kontakt mit älteren Geschwistern, Leben auf einem Bauernhof, etc. sind deutlich weniger anfällig für atopische Krankheiten wie Ekzeme, Heuschnupfen und allergisches Asthma.

Kann man sogar argumentieren, dass diese winzigen Bakterien einen Einfluss auf den Status Quo unserer Welt und den Klimawandel haben?

Ja. Menschen, Tiere und Pflanzen benötigen Mikroben für die Gesundheit, und mikrobielle Ökosysteme in der Umwelt beeinflussen die Mikrobiota von Organismen. Ein gesunder Boden z.B. ist voll von verschiedenen Mikroorganismen (meist Bakterien), die den Kreislauf der für das Pflanzenwachstum wichtigen Nährstoffe regulieren. Das so genannte Bodenmikrobiom schützt Pflanzen vor schädlichen, umweltbedingten Stressfaktoren und ermöglicht unsere Existenz auf Ernährungsebene. Wie eine Studie an Pavianen zeigt, beeinflussen Bodenmikroben die Darmflora signifikant: Ihre Darmflora wird 15 mal stärker von Bodenmikroben als von der Genetik beeinflusst.

Angesichts unserer physiologischen und ernährungsphysiologischen Abhängigkeit von verschiedenen mikrobiellen Bodenökosystemen halte ich es für wichtig zu verstehen, dass sich viele unserer landwirtschaftlichen und industriellen Aktivitäten verändern und ihr Gleichgewicht belasten. Das Verständnis, wie sich das sich erwärmende Klima auf die Bodenmikrobiome auswirkt, ist entscheidend für das Verständnis und die Vorhersage der zukünftigen Funktionsfähigkeit von Ökosystemen.

Glaubst du, dass es Aspekte gibt, die bei Gesprächen über Nachhaltigkeit oft ausgelassen werden?

Wenn ich über Nachhaltigkeit und nachhaltigen Aktivismus nachdenke, halte ich es für wichtig, den Einfluss von Denkweisen und Kulturen zu berücksichtigen. Sowohl unsere Denkweisen als auch unsere Kulturen bestimmen, wie wir die Welt wahrnehmen und uns verhalten.

Die Ergebnisse isolierter, akademischer Forschung beeinflussen in der Regel weder das Verhalten, noch fördern sie interdisziplinäres systemisches Denken. Wenn jedoch verschiedene Studienrichtungen gemeinsam betrachtet werden, können wir ein Bild von uns selbst und der natürlichen Welt im Kontext eines komplexen Netzwerks von interdependenten Beziehungen entwickeln. Dieses Bild der Vernetzung hat das Potenzial, destruktive Verbindungen zu verringern, indem es nachhaltiges Denken und kulturelle Transformation fördert. Ich glaube, wie wir die Welt wahrnehmen, ist entscheidend für die Entwicklung nachhaltiger Denkweisen und Kulturen.

Die Lancet One Health Commission erkennt „die Interaktion zwischen Mensch, Tier und Umwelt als Voraussetzung für das Verständnis und den Umgang mit globalen Gesundheitsgefahren“ an. Wachsende interdisziplinäre Initiativen wie One Health und Planetary Health beleuchten die untrennbaren Zusammenhänge und Beziehungen zwischen Ökosystemen und Lebewesen. Diese Initiativen bieten eine Möglichkeit, die Bedeutung und Komplexität unserer Beziehungen in und zu der Welt wahrzunehmen.

Maya Cosentino ist Ärztin und bildet sich derzeit in der Schweiz zur Kinder- und Jugendpsychiaterin weiter. Sie ist als Mitarbeiterkind in einer Schule und Lebensgemeinschaft für behinderte Kinder und Jugendliche in Pennsylvania, U.S.A. aufgewachsen. In dieser Lebensgemeinschaft ist ihr Interesse an Beziehungen und Verbindungen zwischen Gesundheit und Umwelt, Gemeinschaftsentwicklung sowie Nachhaltigkeit geweckt worden.

Maya erwarb ihren Abschluss in Psychologie und Neurowissenschaften am St. Mary’s College of Maryland und erhielt dort den „Human Service Award“.

Weitere Infos und jede Menge Interaktion zu den Themen Nachhaltigkeit und Zufriedenheit findet Ihr auf unserer Facebookseite “Finding Sustainia“ und bei Twitter unter @Finding_S.

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