Sylvia beim FAIR CAMP Berlin: Artgerechte Kindererziehung, ein geldfreies Leben und die Frage: Was ist fair und gerecht?


Als ich mich auf den Weg nach Pankow zum FAIR CAMP in Berlin zum Thema „Stadt im Wandel: Was ist Fülle?“ machte, konnte ich nicht ahnen, was mich erwartet. Das Wochenende war sehr voll. Mehrere Geburtstage, kaum Zeit Luft zu holen – wofür ich, besonders seit ich Mutter bin, das Wochenende eigentlich immer dringend brauche. Darum war ich umso positiver überrascht, wie bereichernd und inspirierend diese wenigen Stunden waren. Danke an Katharina Wyss, dass ich teilnehmen durfte. Gerne schildere ich nun meine Eindrücke zum

faircamp

Wie sieht artgerechter Umgang mit Babys und Kindern aus

Zur Eröffnung des zweiten Camp-Tages fanden wir uns im Berliner Veranstaltungsort Eden ein. Schon die Räume dieser wunderschönen zu Café und Ort der Begegnung umgestalteten Altbauvilla laden zum Wohlfühlen ein. Auf eine kurze Vorstellung und Einführung in den Tagesablauf folgte der erste Impulsvortrag der Wissenschaftsjournalistin Nicola Schmidt zum Thema „artgerechte Haltung“ von Babys. Was erst einmal seltsam anmutet, schien mir aber schnell eine sinnvolle Frage zu sein, die wir uns gesamtgesellschaftlich gesehen viel zu wenig stellen. Die Autorin des Buches artgerecht – Das andere Babybuch (wer es kaufen möchte, tut das natürlich am besten im lokalen Buchhandel seines Vertrauens) berichtete mitreißend von der Geburt ihres ersten Kindes, die sie unvorbereitet traf. Was sich im Nachhinein als Segen herausstellte, denn es führte dazu, dass sie statt sich auf die Errungenschaften moderner Babyindustrie (3000 Euro aufwärts geben die Deutschen durchschnittlich für die Erstaustattung ihres Babys aus) zu verlassen, gezwungen war, ihre natürlichen Mutterinstinkte wiederzuentdecken. Die große Frage stand im Raum: Was braucht ein Baby eigentlich wirklich? Nicola Schmidt machte sich auf die Suche nach Antworten, recherchierte und testete selbst. Am Ende steht eine Philosphie, die auch bei den Allerkleinsten (oder gerade bei ihnen) an Zeit statt Zeug appelliert und dafür auf sich selbst und die Signale des eigenen Kindes zu hören statt irgendwelchen Ratgebern zu vertrauen. Ein weiterer Ansatz unserer Greenparenting Challenge.

Die Details und Hintergründe ihres Artgerecht-Prinzips erläutert Nicola in diesem Video:

Zu Nicolas Geburtsgeschichte gehörte aber ehrlicherweise auch, dass sie auf die Hilfe von anderen angewiesen war, als sie plötzlich mit Neugeborenem dastand, ohne vorab einen einzigen Strampler oder ein Möbelstück besorgt zu haben. Freunde halfen ihr aus und versorgten sie unter anderem mit einer Babyschale zum ersten Transport des neuen Familienmitglieds nach Hause. Und hier schließt sich für mich der Kreis zum zweiten Impulsgeber des Tages, Tobi Rosswog, der sich in seinem Vortrag dem geldfreien Leben widmete: Für ein erfülltes Leben brauchen wir einander.

Warum bedeutet geldfreies Leben nicht dasselbe wie Leben ohne Geld

Tobi Rosswog war ein erfolgreicher Schüler und ein ebensolcher Student. Noch vor Abschluss seines Studiums wurde er regelmäßig für Vorträge gebucht, 150 Euro kostete das den Auftraggeber pro Stunde. Als Rosswog feststellte, wieviel Zeit er anschließend in Buchhaltung und Steuererklärung investieren musste, wo er doch viel lieber noch mehr Menschen Zugang zu seinem Wissen und seinen Erfahrungen ermöglichen wollte, entschloss er sich zu einem radikalen Schritt. Er verschenkte sein komplettes Vermögen, um frei von Geld zu leben. Ganz bewusst betonte er den Unterschied zwischen geldfrei und ohne Geld sein. Während es sich bei letzterem in der Regel um einen unfreiwilligen Zustand handelt, der von Existenzängsten geprägt ist, bedeutet Freisein von Geld für ihn die Erkenntnis zuzulassen, dass Alles da ist, was wir brauchen. In den folgenden 2,5 Jahren lebte er konsequent geldfrei, hielt seine Vorträge kostenlos (wodurch sie auch für finanziell nicht so gut aufgestellte Institutionen möglich wurden), übernachtete bei Freunden und Bekannten, ernährte sich von gerettetem und geteiltem Essen und bewegte sich zu Fuß oder per Anhalter fort. Und siehe da, es war möglich! Heute lebt er nur noch teilweise geldfrei, denn er machte die Erfahrung, dass sich Veränderungsprozesse innerhalb einer Gesellschaft leichter anstoßen lassen, als mit einem radikalen Ansatz von Außen. Tobi Rosswog nutzt Geld, dort wo es wirklich notwendig ist. In vielen anderen Bereichen setzt er sein geldfreies Leben fort.

flipchart

Aus seiner Sicht sind ungleich verteilter Besitz – unter anderem in Form von Geld – einer der zentralen Faktoren für die Ungerechtigkeit in unserer Welt. Denn er führt dazu, dass einige wenige mehr haben als sie brauchen und viele nicht mal das Nötigste zum (Über-)leben. So hat er für mich persönlich mit einem knackigen Zitat das große Dilemma des Umgangs der reichen mit den armen Ländern dieser Welt zusammengefasst:

Wir müssen den Menschen nicht mehr abgeben, wir müssen ihnen weniger stehlen! 

Mehr über ihn und sein Engagment findet ihr unter living utopia und geldfreier leben.

Den an die Impulsvorträge anschließenden Openspace und die vielen spannenden Workshops dazu konnte ich aus Zeitgründen bedauerlicherweise nicht mehr besuchen. Deshalb ist mein Einblick in das Fair Camp leider unvollständig. Aber ich möchte nächstes Jahr sehr gerne wieder und dann hoffentlich auch länger dabei sein!

Fazit

Das Leben in Fülle stand als Leitsatz über dem diesjährigen Fair Camp. Die beiden Referenten, deren Beiträge ich sehen durfte, haben beeindruckend gezeigt, wie es aussehen kann. Beide machten für mich deutlich, dass übermäßiger Konsum nichts anderes ist als Ballast, der uns von der Fülle des Lebens trennt – ein Grundsatz, den wir Sustainians auch anstreben und umzusetzen versuchen. Ein schlechter Ersatz für eine Leere, die wir besser und echter füllen können. Ich habe aus dem Fair Camp viel Inspiration dafür mitgenommen.

Danke an alle Teilnehmenden und die VeranstalterInnen!

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Weitere Infos und jede Menge Interaktion findet ihr auf unserer Facebookseite “Finding Sustainia“ und bei Twitter unter @Finding_S.Wir freuen uns auch, wenn ihr euch in der rechten Spalte unseres Blogs für unseren Newsletter anmeldet. So bleiben wir gut verbunden.


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