Fleischfabrik Deutschland. Caroline & Anna über das neue Buch von Anton Hofreiter #bookchat


In den letzten Wochen haben wir für Euch gelesen – und mal wieder selbst jede Menge gelernt. „Wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können“, so beschreibt Anton Hofreiter den Inhalt seines neuen Buches. Es geht also um uns! Und? Was nehmen wir mit? Was hat uns bewegt? Was sehen wir anders?

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Caroline ist Landwirtschafts-Meisterin auf einem Bio-Bauernhof und Anna… naja, nennen wir sie mal kritische Konsumentin. Und natürlich „Foodie“! Los geht’s.

Anna: Liebe Caroline, was für eine Freude, dass ich den Bookchat zur „Fleischfabrik Deutschland“ gerade mit Dir machen darf. Wer könnte sich besser auskennen? Hat Dich irgendetwas noch überraschen können?

Caroline: Das Buch hat mich überrascht wegen seiner Vielseitigkeit an Themen, es ist sehr komplex. Das hatte ich nicht erwartet. Un das obwohl ich mich schon seit circa 35 Jahren mit dem Thema beschäftige: von der Tierhaltung, der Fütterung der Nutztiere über die gesundheitliche Aspekte des Fleischkonsums und die Ernährung ohne Fleisch

Kein reines Sachbuch

Anna: Stimmt, der Autor geht auf Haltungsbedingungen, Umweltaspekte, soziale Aspekte, Klimawandel und Handelsfragen ein. Und obwohl das alles nach harter Kost klingt, verpackt er jedes Thema in einfache Worte.

Caroline: Ja, es ist eher nicht als Fachbuch gestaltet sondern als Streitschrift.

Anna: Genau, ganz klar das Werk eines Politikers. Wer auf eine einwandfrei objektive Sprache steht, wird mit Hofreiter wahrscheinlich nicht warm.

Caroline: Manchmal nutzt er Begriffe wie „Trickserei“, „Dumpingfleisch-Magnat“, „Fleischmillionär“ oder „Schweinebaron“… Du hast Recht.

Anna: Ja, und er macht sehr deutlich, was ihm gegen den Strich geht und wie sich die Politik ändern müsste. Außerdem wird überdeutlich, dass seiner Meinung nach der Bundeslandwirtschaftsminister Schuld ist an so mancher Misere und dass Frau Künast sehr viel bewegt hat. Damals, als sie selbst Landwirtschaftsministerin war. Er beschreibt außerdem die Position der Grünen und wie ich finde, macht er richtig Lust darauf, sich politisch zu engagieren.

Caroline: Ja, der Fokus des Buches liegt neben all der Hintergrundinformation ja darauf, was sich in Sachen Gesetzgebung, Subventionspolitik, etc. ändern muss. Und vor allem, dass es möglich ist!!!

Kein Luxus-Thema

Anna: Erinnerst Du Dich an die Einleitung? Mir gefällt besonders der Hinweis, dass es sich eben nicht um Luxus-Probleme handelt, wenn man sich mit nachhaltiger Ernährung beschäftigt. Auch hier bei Finding Sustainia haben wir uns ja mit dieser Fragen schon mehrfach beschäftigt. Wie kann man sich bei all den aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft allzu sehr mit Essen beschäftigen? Hofreiter schreibt dazu: „Bei der Agrarwende geht es nicht um Gourmet-Food und Lifestyle-Fragen. Es geht um die nachhaltige Nutzung der Ressourcen unseres Planeten.“

Caroline: Ja, genau, genau, genau! Und er schreibt auch, dass wir anders als oftmals angenommen gerade in Deutschland weit weg sind von einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung.

Anna: Leider! Kennst Du meine Fotoreihe dazu?

Caroline: Na klar. Und ich finde es so wichtig, auf verschiedenen Ebenen auf diese Themen aufmerksam zu machen. Kreativ, wissenschaftlich, durch Veranstaltungen und auch durch direkte Gespräche.

 

Subventionen für die ganz Großen

Caroline: Was war denn für Dich besonders überraschend, Anna?

Anna: Was ist wirklich nicht wusste, sind Einzelheiten über die EU-Subventionspolitik. Hofreiter schreibt ja, dass gerade die flächenmäßig besonders großen Betriebe besonders hohe Subventionen erhalten. Masse schafft Effizienz… aber alles Negative, was damit verbunden ist, scheint ausgeklammert zu werden und zu allem Überfluss auch noch vom Steuerzahler unterstützt.

Caroline: Das mit den Zahlungen gekoppelt an die Flächengrößen hat mich schon immer berührt. Ich weiß es aus eigener Erfahrung und von Kollegen, die eben weniger Hektar bewirtschaften als Großunternehmer… Und genau die Kleineren würden das Geld oft dringend benötigen. Die Verteilung sollte also unbedingt anders gestaltet werden oder nach anderen Kriterien vollzogen werde.

Anna: 70 bis 80 Prozent der Tiere werden in 20 bis 30 Prozent der Betriebe gehalten, schreibt Hofreiter. Und als Beispiel führt er an: „Ein Betrieb wie KTG Agrar mit 45.000 Hektar Land streicht mehr als 10 Millionen Euro Steuergeld als Subvention ein.“ Wirklich unglaublich, oder? Außerdem seien Tönnies und Vion, die wirklich riesigen Mastbetriebe, mit Steuergeldern im sechsstelligen Bereich bedient worden.

Caroline: Mir fällt der Begriff Lobby in diesem Zusammenhang ein…

Anna: Klar, die Agrarlobby und ihre Macht auf EU-Ebene ist ja auch bekannt. Doch Hofreiter schreibt, dass wir uns nicht zurücklehnen und über die EU ärgern können, sondern dass auch auf Bundesebene die Möglichkeit bestünde, die Subventionen bei einer Höchsumme von 150.000 Euro zu kappen. Und erinnerst Du Dich was das ausmachen würde?
Caroline: Für die Großen jede Menge.

Anna: Genau. Allerdings wären nur 1,3 Prozent der Betriebe betroffen. Aber eben die, die aktuell solche Wahnsinnssummen einstreichen. Die meisten Betriebe würden von einer gerechteren Umverteilung der Gelder profitieren. Doch auch der Deutsche Bauernverband scheint eindeutig auf der Seite der Riesenbetriebe.

Caroline: UND das Bundeslandwirtschaftsministerium. Sehr traurig.

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Nitratbelastung, Antibiotika und Flächenverbrauch zum Futtermittelanbau

Anna: Es ist wirklich schwierig, dieses sehr „dichte“ Buch in einem Chat zusammenzufassen. Ziemlich erschrocken war ich auch von der Info, dass die Intensivtierhaltung in Deutschland zu so hohen Nitratbelastungen unseres Wassers führt, dass wir mit Ausnahme von Malta die höchste Gewässerbelastung durch Gülle in ganz Europa haben.

Caroline: Deutschland hat da wirklich eine riesige Industrie aufgebaut, die uns ja auch zum absoluten Fleisch-Exporteur macht. Wenn ich höre, dass es auch Anstrengungen gibt unser Fleisch nach China, etc. zu verkaufen, wird mir wirklich übel.

Anna: Und noch ein Grund für gesteigerte Übelkeit: die Metaphylaxe. Auch ein Wort, das ich neu gelernt habe.

Caroline: Ja, damit ist eine vorsorgliche Antibiotika-Behandlung ganzer Ställe gemeint – auch wenn nur einzelne Tiere erkranken. Als Prophylaxe /Vorbeugung sozusagen. In einem „normalen“ Stall könnte man die kranken Tiere von den anderen trennen. Aber wie soll man unter 40.000 Hühnern die kranken ausfindig machen? Selbst bei „nur“ 10.000 Tieren ist das unmöglich. Im Übrigen wird eine gewisse Tierzahl automatisch als Verlust einkalkuliert. Paradox, diese Situation. Außerdem werden Medikamente zum Beispiel gegen bakterielle Erkrankungen ins Trinkwasser gegeben. Diese sind völlig wirkungslos bei Erkrankungen, die durch Viren und andere Erreger ausgelöst werden. Doch von den anderen Krankheiten gibt es auch jede Menge.

Anna: Urrrrghhh… Ach, und noch ein Thema, das wir aber hier auch schon oftmals thematisiert haben: der extreme Flächenverbrauch (vornehmlich in Lateinamerika) zum Futtermittelanbau.

Caroline: Hier fand ich es auch spannend, dass Hofreiter selbst Reisen nach Brasilien unternommen hat und dieses Thema verknüpft mit sehr persönlichen Erfahrungen beschreibt.

Anna: Ich finde es immer wieder sehr beeindruckend die Zahlen darüber zu lesen, wieviel Soja als Futtermittel nötig ist für ein Stück Fleisch und wie schlecht die Kalorienbilanz im Vergleich dazu ist, dass man Soja ja auch direkt verarbeiten könnte. In der ganzen Diskussion um das Thema Welternährung ein sehr wichtiger Punkt. Hast Du mittlerweile den Film „10 Milliarden“ gesehen? Sehr zu empfehlen!

Caroline: Nein, immer noch nicht gesehen…

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Was hat uns gefehlt?

Anna: Ich hätte mir noch etwas mehr Vergleiche zu anderen Ländern gewünscht. Wenn Deutschland ein so besonders „schlechtes System“ aufweist, wie sieht es dann in anderen Ländern aus? Können wir uns an guten Vorbildern orientieren? Wo wird Politik zugunsten einer nachhaltigen Ernährung besser umgesetzt? Wo ist die Gesetzgebung tier- und umweltfreundlicher?

Caroline: Ja, das würde mich auch interessieren. Aber ich finde, auch so wie das Buch jetzt ist, müsste es jeder Verbraucher lesen um anklagend, mutig und kritisch selbst aktiv zu werden. Wo kaufst Du denn Dein Fleisch oder Deine Eier?

Anna: Fleisch esse ich allerhöchstens mal, wenn mir ein Galloway Rind aus dem Neandertaler angeboten wird oder von einem Bauernhof im Schwarzwald. Also seltener als dreimal im Jahr. Und bei weiteren tierischen Produkten bessere ich mich langsam… Ich versuche vor allem zu reduzieren. Und bei Butter, Joghurt und Milch auf Alternativen umzusteigen.

Caroline: Ach ja, was ich mir noch gewünscht hätte von Hofreiter: ein paar konkrete Tipps wie man eine vegane Lebensweise beim Ausgehen, auf Festen oder beim Abendessen mit Freunden umsetzen könnte. Aber er betont ja auch, dass er selbst kein Vegetarier ist und es ihm darum geht, ein insgesamt besseres, gesünderes System der Tierzucht zu etablieren. Vor diesem Ziel, ziehe ich, wie man so sagt, meinen Hut – und ich trage des öfteren Hüte.

Anna: Stimmt… Da wäre es dann vielleicht auch zuviel erwartet, dieses Thema auch noch in seinem Buch zu verankern. Aber dafür sind wir ja mit Finding Sustainia immer auf der Spur nach solchen Tipps.

Sechs Schritte für eine grüne Agrarwende

Caroline: Genau! Und Hofreiter schließt seinen Infoteil über all die Missstände mit einer konstruktiven Darstellung für eine grüne Agrarwende.

Anna: Sechs Schritte zeigt er auf: Ausstieg aus der Massentierhaltung, Bauernwirtschaft statt Agroindustrie, Umweltschutz, Verbraucherschutz, fairer Handel und eine global gerechtere Agrarpolitik. Klingt aus meiner Sicht nach einem guten Plan.

Caroline: Ja, eigentlich wird genau das ja auch schon an so vielen Stellen seit Jahren gefordert. Hofreiter fasst es einfach sehr gut und komprimiert zusammen. Ich kann das Buch wirklich für Kenner sowie neugierig gewordene Leser/innen weiterempfehlen.

Anna: Und ich freue mich, dass wir es gemeinsam bzw. zeitgleich gelesen haben, Caroline! Und ich hoffe, dass ich Dich bald mal wiedersehe!

Caroline: Das Buch kam auch sehr passend zu unserer diesjährigen Vegan-Challenge auf den Markt.

Anna: Ach ja, und natürlich verlosen wir wieder ein Exemplar! Unter allen die diesen Chat kommentieren.

 

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19 Antworten zu “Fleischfabrik Deutschland. Caroline & Anna über das neue Buch von Anton Hofreiter #bookchat”

  1. Vielen Dank für Eure umfangreiche Rezension! Wenn man schon viel zu diesem Thema gelesen hat, denkt man ja oft, dass vermutlich nichts Neues in solch einem Buch steht. Aber ihr habt mich jetzt doch neugierig gemacht. Würde mich also sehr darüber freuen ☺. LG, Andrea

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