Vegane Ernährung für Schwangere, Stillende & Babys. Interview mit Felicitas Kitali, PETA.


Der Vegetarierbund (VEBU) geht davon aus, dass sich in Deutschland etwa 7,8 Millionen Menschen (rund 10 % der Bevölkerung) vegetarisch und 900.000 vegan ernähren und dass deren Zahl zunimmt. Vor allem die Zahl der Veganer (derzeit 1,1 % der Bevölkerung) steigt. In den letzten Monaten berichten die Medien immer öfter über dieses Thema – oft positiv, aber häufig auch sehr kritisch. Vor allem wenn es um die vegane Ernährung von Kindern, Schwangeren und Stillenden geht, ist die Aufregung groß. Da heißt es dann: Geht das überhaupt? Darf man seine Kinder ohne Milch, Eier und Fleisch ernähren? Schadet eine Frau sich selbst und ihrem Baby, wenn sie sich in Schwangerschaft und Stillzeit rein pflanzlich ernährt?

Aus eigener Erfahrung weiß ich zwar grundsätzlich schon, worauf ich zu achten habe. Dennoch lerne ich immer gerne dazu und habe mich gefreut, dass sich Felicitas Kitali, Fachreferentin für Ernährung bei PETA (People for the Ethical Treatment of Animals), Zeit für ein Interview genommen hat.

Verhaltensregeln für Schwangerschaft und Stillzeit sind ein heikles Thema. Fast immer findet sich jemand, der zu einer bestimmten Lebensweise rät oder aber entschieden dagegen ist. Mit dem folgenden Interview möchten wir eine Botschafterin der veganen Ernährung vorstellen.

Vegane Ernährung während der Schwangerschaft, in der Stillzeit, im Säuglingsalter und in der Kindheit seien entgegen landläufiger Meinung gar kein Problem. Es sei nur wichtig, sich umfassend zu informieren und den Speiseplan entsprechend auszurichten, meint Felicitas Kitali, im Interview. Wir freuen uns auf eure Kommentare!

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Felicitas Kitali

„Der Mensch nimmt nicht nur Nährstoffe zu sich, sondern isst Lebensmittel“

Diana Welchering: Frau Kitali, was empfehlen Sie Familien, die umsteigen und vegan leben möchten?

Felicitas Kitali: Ich rate immer jedem, seinen eigenen Weg dabei zu finden, wie er seinen Umstieg am besten schafft. Manchen gelingt es an einem Tag, andere brauchen mehr Zeit. Aber allen, nicht nur Veganern, rate ich als Ernährungswissenschaftlerin, sich immer gut darüber zu informieren, was sie essen. Untersuchungen zeigen, dass viele Menschen einen Nährstoffmangel aufweisen und somit, dass dies Folge jeder Ernährungsweise sein kann. Mit diesen sogenannten „kritischen“ Nährstoffen sollte sich jeder beschäftigen.

Wo informiere ich mich denn am besten? Gerade was den Bedarf von Kindern betrifft? Ich habe z.B. recherchiert und dabei (etwa beim VEBU) lediglich Informationen zum Nährstoffbedarf eines durchschnittlichen Erwachsenen bekommen. Kinder brauchen ja sicherlich andere Mengen.

Die meisten ziehen die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu Rate, die über einen langen Zeitraum entstanden sind. Dort haben sie auch Empfehlungen für Kinder. Kinder haben nicht einfach bezogen auf ihr Körpergewicht einen geringeren Nährstoffbedarf als Erwachsene, sondern haben bei bestimmten Sachen sogar einen erhöhten Bedarf. Besonders wichtig sind B Vitamine, Kalzium, Vitamin D und Eisen. Da kann man sich an den normalen Empfehlungen für Kinder orientieren. Es gibt aber Überlegungen, dass der Proteinbedarf (der bei allen Kindern generell erhöht ist) bei Kindern, die sich vegan ernähren, etwas nach oben gesetzt wird, um sicherzustellen, dass sie gut versorgt sind. Proteine aus tierischen Quellen werden anders verwertet.

Als Laie habe ich aber generell Schwierigkeiten mir vorzustellen, wie ich das umsetzen kann. Wie viel Linsen, Kichererbsen und Tofu muss mein Sohn denn essen, um seinen Bedarf an Protein zu decken?

Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Generell sollte man sich beraten lassen oder gute Literatur suchen. Der Mensch nimmt ja nicht nur Nährstoffe zu sich, sondern isst Lebensmittel. Man sollte also darauf achten, dass bestimmte Lebensmittel häufiger auf dem Speiseplan des Kindes stehen. Das muss man ja nicht ganz genau durchkalkulieren. Ich muss nur schauen, dass die allgemeinen Regeln eingehalten werden, wenn ich ein Essen zusammenstelle. Das heißt: Der Teller sollte möglichst bunt aussehen, bei Kleinkindern sollte eine größere Portion von einem proteinreichen Lebensmittel (Hülsenfrüchte, Sojaprodukten, Nüsse, Milchalternativen z.B.) vorhanden sein als auf meinem Teller. Der wiederum sollte eher ballaststoffreich bestückt sein (großer Salat, Vollkorngetreide etc.). Man muss bedenken, dass Kinder einen kleinen Magen haben. Kinder sollten daher regelmäßig etwas angeboten bekommen, also auch kleine Snacks wie beispielsweise Nüsse oder Energiebällchen, in denen man Nüsse und Trockenfrüchte versteckt, damit ihr Bedarf gedeckt wird. Man muss wirklich nicht täglich rechnen! (lacht)

Ok, da bin ich ja beruhigt, dass ich alles richtig mache. Ich finde es tatsächlich schwierig, das richtig einzuschätzen. Wir haben hier zu Hause „Nixesser, Iiiihgitter und Allesblödfinder“, die es einem schwer machen und vieles verweigern. Besonders mit unserem kleinen Sohn ist das gerade ganz ausgeprägt. Aber viele Eltern kennen diese „Nur Reis“-/ „NudelnohneSoße“- Phasen von ihren Kindern, egal wie sie sich in der Familie ernähren.

Dieses Verhalten ist ganz unabhängig von der Ernährungsform, es gehört zu den Entwicklungsaufgaben, dass das Abnabeln und Selbstständigwerden über die Ernährung stattfindet, weil das nun mal einen großen Bestandteil des sozialen Kontakts darstellt. Das ist bei allen Kindern so. Gut ist da zum Beispiel Alternativen parat zu haben, auch wenn es darum geht, Kindern zu erklären, warum die Familie vegan lebt und warum das Kind anders lebt als die anderen Kinder im Kindergarten. Mit diesen Fragen werde ich häufig beim „Veganstart“ konfrontiert. Da gibt es z.B. sehr gute Kinderbücher.

Ja, das machen wir auch so. Wir haben beispielsweise die Bücher von Ruby Roth „Warum wir keine Tiere essen“ und „Vegan aus Liebe“ . Allerdings leben wir ländlich und machen oft die Erfahrung, dass wir uns für die vegane Lebensweise rechtfertigen müssen, auch bei den Kinderärzten. Wie kann man sich denn da wappnen? Mit Informationen von der DGE?

Da sie gerade die DGE erwähnen – es ist so, dass sich in Deutschland Ärzte und Ernährungsfachleuten hauptsächlich auf die DGE berufen. Die ist aber, was den wissenschaftlichen Standpunkt zu veganer Kinderernährung betrifft, eher hinterher. Viele Ärzte gehen davon aus, „dass das schon stimmen wird“. Das ging mir früher auch so. In den USA, Australien, Großbritannien und Kanada haben Ernährungsgesellschaften in Stellungsnahmen festgehalten, dass eine ausgewogene vegane Ernährung während der Schwangerschaft, in der Stillzeit, im Säuglingsalter und in der Kindheit gar kein Problem darstellt. Mit diesem Hintergrundwissen kann man zum Arzt gehen und ihn darüber informieren. Man muss da etwas Geduld haben.

So ähnlich ist es auch mit „Wie erkläre ich es der Oma?“ Warum keine Milch etc.
Wie ist es mit Nahrungsergänzungsmitteln?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Darüber sollte jede/r genau informiert sein, besonders was die Versorgung mit Vitamin B 12 betrifft. Es gibt angereicherte Lebensmittel und Supplemente. In der Stillzeit ist es nicht zwingend notwendig das Baby gesondert zu versorgen, solange die Mutter wirklich gut versorgt ist – das heißt selbst ausreichend und regelmäßig supplementiert – (das sollte man einmal im Jahr tatsächlich testen lassen). Kann die Versorgung der Mutter nicht gewährleistet werden, müssen auch vollgestillte Säuglinge eine Ergänzung in Form von Vitamin B12-Tropfen erhalten. Sobald mit der Beikost begonnen wird, muss aber auf jeden Fall ein Supplement verabreicht werden. Außerdem Vitamin D, wie bei allen anderen Kindern auch! Das ist, gerade im Winter, auch für alle anderen wichtig.

Das empfiehlt auch unser der Hausarzt. Wie ist es denn allgemein bei Schwangeren und Stillenden? Die haben ja auch einen anderen Bedarf, beispielsweise was Eisen betrifft. Gynäkologen raten Schwangeren auch gerne mal dazu, „ausnahmsweise ein Steak“ zu essen. Man tue das schließlich auch für das Kind. Wo kann sich eine Schwangere am besten informieren?

Auf unserer Seite  und neu auf unserem Blog, www.veganblog.de, gibt es gute Empfehlungen. Aber auch in Büchern, z.B „Vegetarische Ernährung“ von Claus Leitzmann und Markus Keller, oder in Kochbüchern findet man Tabellen dazu. Wichtig für eine gute Eisenversorgung sind Vollkorngetreide, aber auch besonders die sogenannten Pseudogetreide wie Quinoa und Amaranth, Hülsenfrüchte, Sesam, Sesammus und Trockenfrüchte. Man muss dabei aber darauf achten, zeitnah Vitamin C-haltige Lebensmittel zu sich zu nehmen. Sicher kann es sein, dass Veganerinnen da selber verstärkt aktiv werden müssen, um sich umfassend zu informieren. Bei Vitamin A, E und Folsäure ist es sogar so, dass man davon ausgehen kann, dass Veganerinnen besser versorgt sind als andere Frauen.

Vitamin B2 und B6 sind auch wichtig: Der Richtwert hier liegt bei ca. 60 g gemischten Nüssen/Tag. Dann ist man ganz gut versorgt. Es ist sicher nicht immer leicht, aber wenn man sich sorgfältig informiert, kann man Hilfe finden und feststellen, dass vegane Ernährung in der Schwangerschaft und in der Stillzeit kein Problem ist.

Was können Frauen machen, die nicht stillen können oder wollen?

Das ist zurzeit noch immer ein Diskussionspunkt. Es gibt Muttermilchersatzprodukte, die auf Soja- oder Reisbasis hergestellt sind. In Deutschland ist man mit Empfehlungen noch vorsichtig, aber auch hier und z.B. in Frankreich werden sie sowohl in Krankenhäusern als auch in anderen Einrichtungen eingesetzt. Darauf kann man zurückgreifen, dennoch sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Muttermilch das Beste ist. Oft fehlt es an der richtigen Beratung. Generell gilt, dass Muttermilch die erste Wahl sein sollte, bevor man auf Ersatzprodukte zurückgreift.

Worauf sollte man achten, wenn man mit der Beikost beginnt? Ich hatte damals etwas Stress mit unserem Kinderarzt, der auf Fleisch im Brei bestand.

Das Problem hier ist, dass viele Ärzte nicht darauf achten, dass es um die eisenhaltige Kost (z.B. Hirsebrei) an sich geht und nicht nur darum, was in der Beikosttabelle steht. Hier empfiehlt es sich, beim PCRM (The Physicians Commitee for responsible medicine) nachzusehen. Eine deutsche Version findet man auf unserer Seite. Da gibt es konkrete Ernährungsempfehlungen.

Für uns von FindingSustainia ist es natürlich wichtig, besonders nachhaltig zu konsumieren. Allerdings sind viele Lebensmittel, die Veganern das Leben angenehmer und einfacher machen, beispielsweise exotische Superfoods. Haben Sie Tipps für uns?

Stimmt, oft sind die Produkte nicht besonders nachhaltig. Aber es gibt häufig guten Ersatz. Statt Chiasamen als Eiersatz nimmt man zum Beispiel Apfelmus oder geschroteten Leinsamen. Es gibt auch regionale Superfoods wie Rote Beete. Man muss ja nicht Unmengen verzehren und kann für sich selbst sehen, wo man sich einschränken kann. Es ist nie einfach, alles perfekt zu machen. Nur sollte man schauen, alles so gut wie möglich zu machen.

Vielen Dank, Frau Kitali, das sehe ich genauso! Danke auch für Ihre Einblicke und die vielen Tipps. Das Interview war sehr bereichernd – für mich, das ganze FindingSustainia Team und sicherlich auch für unsere Leserinnen und Leser. 

 

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