Deep Talk mit Prof. Dr. Christian Berg: Welche Barrieren hindern uns?


Heute geht es bei uns um Kapitel 3 und 15 in Christians Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch?“. Konkret heißt das: Wir sprechen über Barrieren der menschlichen Natur und gesellschaftsbezogene Barrieren, die Christian als besonders relevant im Kontext der jetzigen Zeit erachtet. Getriggert und durcheinander gebracht von Corona.

Santa Meyer-Nandi: Warum ist das für Dich eine gute Zeit, uns als Individuum und als Gesellschaft zu hinterfragen?

Prof. Christian Berg: Wir erleben derzeit sehr brutal, dass wir mit der Natur nicht verhandeln können – und dass wir einen Impfstoff oder ein Allheilmittel selbst mit allem Geld der Welt nicht kaufen können. Wir haben in vielen Bereichen den Bezug zur Natur verloren. Aber wie sollen wir etwas schützen, das wir gar nicht kennen?

Außerdem ist unsere menschliche Natur nicht darauf angelegt, dass wir die großen Herausforderungen der Nachhaltigkeit direkt erleben können. Wir können CO2 nicht sehen, nicht fühlen, nicht riechen. Um den Klimawandel zu „erfahren“, muss man sehr große Zeiträume betrachten und sich auf Berichte aus früheren Jahrzehnten oder auf wissenschaftliche Untersuchungen stützen. In der Menschheitsgeschichte hat das bisher eigentlich kaum Auswirkungen gehabt, denn wir sind mit unseren Sinnesorganen und kognitiven Fähigkeiten gut für das Leben im Hier und Jetzt angepasst. Aber wenn es darum geht, große, komplexe Zusammenhänge in Natur und Gesellschaft zu verstehen und sehr lange Zeiträume zu betrachten, dann fehlt uns schlicht das Gefühl dafür. Wer die Hitze eines nahen Feuers oder den durchdringenden Schmerz einer Verbrennung erfahren hat, dem brennt sich diese Erfahrung buchstäblich ins Gehirn. Man vergisst es nicht und wird deshalb achtsam im Umgang mit Feuer. Diese Erfahrungen gibt es beim Thema Nachhaltigkeit nicht – jedenfalls nicht in dieser Form. Sehr eindrücklich kann es sein, wenn man Umweltverschmutzung, stinkende Gewässer mit toten Fischen sieht. Aber abgesehen davon, dass das bei uns kaum noch vorkommt, sind dies auch negative Erfahrungen, die uns nicht gerade motivieren…

Santa Meyer-Nandi: Sehr spannend, Christian. Viel, ja, sehr viel geht bei uns über’s Fühlen. Und darin sehe ich sowohl Barriere wie auch Potenzial. Meine Mutter sagte mir früher immer, ich solle mich immer hinknien statt bücken, wenn ich etwas aufhob. Früher glaubte ich nicht daran, dass man ansonsten Rückenschmerzen bekommen könnte. Jetzt – ca. 30 Jahre später – schon. Ist das ein Beispiel linearen Denkens, von dem Du in Kapitel 3.1. schreibst?

Prof. Christian Berg: Das ist ein schönes Beispiel, dass wir nicht nur auf den Rat unserer Eltern, sondern auch auf unseren Körper hören sollten… Aber mit linearem Denken meine ich noch etwas anderes. Linear heißt im Prinzip, doppelter Aufwand, doppelter Erfolg, vierfacher Aufwand, vierfacher Erfolg usw. In vielen Bereichen des täglichen Lebens gilt das. Eine Wanderung von 25 Kilometer Länge dauert etwa fünfmal so lange wie eine von 5 Kilometern. Einen Gartenzaun von 10 Metern Länge zu streichen dauert etwa doppelt so lange wie einen, der 5 Meter lang ist. Viele Gesetze in der Natur verlaufen aber – zumindest in gewissen Bereichen – nach exponentiellem Verlauf. Aus einem einzigen Corona-Infizierten können innerhalb von Wochen Millionen Infizierte werden. Viele Systeme in der Natur zeigen solche Gesetzmäßigkeiten. Weil es aber unbegrenztes Wachstum in der Realität nirgends geben kann, brechen Systeme mit exponentiellem Wachstum früher oder später zusammen. So ähnlich muss man sich auch Veränderungen beim Klima oder beim Artensterben vorstellen. Wir müssen deswegen lernen, exponentielles Wachstum zu verstehen und vermeiden, dass unser Einfluss auf die Natur dazu führt, dass die Dinge mit großer Geschwindigkeit aus dem Ruder laufen.

Santa Meyer-Nandi: Ich kann schon verstehen, dass man das nicht versteht. So sehr ich weiß, dass eine Person 1 Million Menschen mit Corona anstecken kann, oder eine Greta Thunberg Junge und Alte mit dem Klimaschutz-Virus (einem positiven Virus, versteht sich), so schwer fällt es doch meinem Geist, das so richtig zu begreifen. Ich schmeiße keinen Müll ins Wasser oder pflücke keinen Enzian, weil man das nicht macht, in dem Wissen, dass wenn das jeder machen würde, wir große Probleme hätten. Gleichzeitig nach“fühlen“ kann ich das trotzdem nicht richtig. Bitte erzähl uns auch ein wenig mehr von dem Value-Action Gap aus deinem Buch. Über das Think & Action Gap habe ich mir schon viele Gedanken gemacht, das Wort „Value“ fasziniert mich in diesem Kontext. Gib` uns bitte auch gerne ein paar konkrete Beispiele.

Prof. Christian Berg: Wir wissen alle, dass unser Handeln oft nicht von dem bestimmt wird, was wir wissen; nicht einmal von dem, was wir „eigentlich“ für richtig und wertvoll erachten. Auch wenn uns Gesundheit und eine saubere Umwelt grundsätzlich sehr wichtig sind, gibt es oft genug Situationen, in denen wir doch aus Bequemlichkeit lieber das Auto nutzen anstatt das Fahrrad oder die Bahn. Auch wenn wir „eigentlich“ der Ansicht sind, dass eine vegetarische oder vegane Ernährung umweltfreundlicher sind als der Fleischkonsum, schaffen wir es oft nicht, uns auch entsprechend zu verhalten. Das hat viele Gründe – unter anderem liegt es daran, dass wir in unserem Verhalten sehr stark von Gewohnheiten und von Konventionen geprägt sind, aber auch daran, dass die ökologischere Variante oft teurer und unbequemer ist.

Santa Meyer-Nandi: Was kann man dagegen tun? Oft hilft ja ein anderer Blick auf die Sache…

Prof. Christian Berg: Was uns auf den ersten Blick unbequemer erscheint, kann auf den zweiten Blick vielleicht ganz neue Perspektiven ermöglichen. Anstatt ein Fertiggericht in die Mikrowelle zu schieben, kann es zum Beispiel auch eine wertvolle Zeit sein, das Essen selbst zuzubereiten, auch wenn es länger dauert. Es kann zum Beispiel bei der Entschleunigung helfen und zur Wertschätzung des Essens beitragen. Santa, Du hast mal gesagt, dass es Dich sehr bereichert hat und Deine Zufriedenheit gesteigert, ganz bewusst zu versuchen, nachhaltiger zu leben. Siehst Du in der gegenwärtigen Corona-Krise vielleicht auch eine Chance, im persönlichen Leben Dinge neu zu sortieren?

Santa Meyer-Nandi: Da wären wir wieder bei dem guten alten Framing bzw. die Perspektive auf die Sache. Diese scheinbar banalen Tätigkeiten wie Kochen oder Laufen helfen unserem Gehirn, bestimmte andere Aktivitäten zu verdauen und zwar genau, weil man ein langsameres Tempo annimmt. Je mehr man diese „simplen“ Aktivitäten obsolet macht, desto mehr verlieren wir die Räume, um bei uns zu sein. Kochen oder Laufen kann man ganz einfach und effektiv als Momente nehmen, in denen wir einfach nur sind, als unterschätzte Achtsamkeits-Übung oder Meditation. Diese Räume sind auch meines Erachtens unglaublich wichtig, um mehr Resilienz-, Kollaborations- wie auch Empathie-Fähigkeiten zu entwickeln. Wir werden dann nicht so schnell übermannt, wenn etwas mal anders läuft als wir es gewohnt sind oder wünschen. In diesem Raum habe ich auch die besten beruflichen und privaten Ideen, und kann mich auch in dem Prozess besser „verankern“, das zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann, und kreative Lösungen für den Rest zu finden. Das führt mich zu der nächsten Frage: Was würde uns Individuen von „außen“ helfen, damit wir systemisch den Barrieren menschlicher Natur entgegen wirken können?

Prof. Christian-Berg: Das ist eine gute Frage! Denn es würde uns auf Dauer überfordern, wenn wir entgegen all der Widerstände uns ständig abverlangten, dass wir „wirklich nachhaltig“ leben wollen! Es braucht deshalb auch institutionelle Unterstützung unseres Verhaltens. Das heißt zum Beispiel, dass die nachhaltigeren Produkte nicht teurer sein dürfen als die schädlichen. Das heißt auch, dass es gute Angebote für nachhaltigere Lösungen geben muss – zum Beispiel im Verkehr. Wir sehen ja, dass viele Menschen in Ballungsräumen mit gutem ÖPNV das Auto stehen lassen, oder gar keins mehr haben. Und Nudging (heißt ja eigentlich Anstupsen) kann auch dazu beitragen: warum sind Büro-Drucker nicht zum Beispiel ab Werk so eingestellt, dass sie doppelseitig drucken? Das wäre eine recht einfache Maßnahme, die viel Papier sparen könnte. Es hat sich allerdings gezeigt, dass es wichtig ist, auch ein „opt-out“ zuzulassen, das heißt, es muss möglich sein, eine andere Alternative zu wählen – sonst führt das zu Abwehrreaktionen, weil sich niemand gerne bevormunden lässt. Oder wie siehst Du das, Santa?

Santa Meyer-Nandi: Das mit der Werks-Einstellung sehe ich genauso bzw. ganz kurz gesagt: die nachhaltige Variante muss die einfachste, beste und am einfachsten zugänglichste Variante sein, und nicht mit maßgeblichem Mehraufwand verbunden sein. Etwas, was ich persönlich auch wichtig finde, und auch in Deinem Buch immer wieder rauslese, ist, einen gesellschaftlichen Nährboden zu schaffen, der Achtsamkeit, Solidarität, Kollaboration wie auch Wertschätzung fördert. Ich denke da z.B. an unser Bildungs-System und eigentlich daran, wie dominante Bereiche unserer Gesellschaft und Kapitalismus per se funktionieren: und zwar über Wettbewerb, harte Fakten bzw. eine Produkt-Orientierung (Erfolg, Geld, Noten usw.). Prozess-Orientierung öffnet für mich den Spaß und die Freude am Lösen der Aufgabe, als Abenteuer. Wir sprechen hier von intrinsischer vs. extrinsischer Motivation. Es gibt immer mehr Studien dazu, wie Noten, Strafen und Belohnungen nicht nur unseren Spaß killen – sie hemmen sogar unsere kreativen Fähigkeiten. Kurzum, das Produkt leidet auch darunter, wenn es uns nur um’s Ziel-Erreichen geht.

Ich persönlich bin ja wahnsinnig fasziniert davon, wie sich das Kleine im Großen wieder findet. Ich habe letztens von der Universität Yale einen Kurs zu „Science of Well-Being“ besucht und da gab es einige Studien, die belegten, dass es sich, entgegen gewisser „Intuitionen“ unsererseits, sehr für unser Wohlbefinden lohnt, nett zu anderen zu sein und gemeinschaftlich zu denken, eigentlich von uns selber heraus daran zu arbeiten, die Barrieren der menschlichen Natur in uns zu reduzieren.

Prof. Christian Berg: Ja, das ist interessant! Aber ich glaube, hier gibt es eine sehr feine, aber wichtige Unterscheidung. Wenn ich nett zu anderen bin, weil ich mir dadurch erhoffe, selbst glücklicher zu sein, dann werde ich damit nur begrenzten Erfolg haben, denn ich kreise letztlich doch wieder nur um mich und die anderen sind mir eigentlich egal. Wenn ich mich aber ständig mit der Frage beschäftige, wie ich glücklich werde, ist das ein sicheres Rezept dafür, genau das nicht zu erreichen. Viele Dinge tun wir (zum Glück immer noch), weil sie einfach richtig sind, weil wir es so gelernt haben. Manche Ökonomen haben uns lange einreden wollen, dass wir alle nur unseren eigenen Vorteil suchen – das hat sich mittlerweile zum Glück als falsch erwiesen.

Santa Meyer-Nandi: Darf ich Dir ein klein bisschen und ganz respektvoll widersprechen bzw. ergänzen, lieber Christian? Viele Wege führen nach Rom bzw. es kann sein, dass ich erst einmal, „nur“ um glücklich zu sein, netter handle. Wenn ich merke, wie schön es war, die Dankbarkeit im Gesicht der alten Dame zu sehen, der ich über die Straße half, dann geht das automatisch in mein System über als das, was mir gefällt. Der Anfang ist oft schwer und da finde ich es wichtig, dass wir erst einmal neutral UND empathisch damit umgehen, dass jeder andere Wege der Motivation findet.

Prof. Christian Berg: Da hast Du ganz sicher Recht, liebe Santa, vielen Dank für die Ergänzung!

Santa Meyer-Nandi: Es ist doch klar, dass es sich in unserem derzeitigen System schwierig anfühlt, bestimmten weicheren Werten Raum zu geben, weil sie doch von uns oft als Erfolgs-Hemmschuhe gefühlt werden. Außerdem dürfen wir auch nicht die Macht der „Referenzpunkte“ unterschätzen: wenn es gesellschaftlich als besonders schätzenswert/“erfolgreich“ gilt, nett zu sein, dann richten wir uns auch direkt danach. Und daher würde ich liebend gerne mit Dir darüber sprechen, wie wir gesellschaftlichen Barrieren entgegen wirken, also Verhaltens- bzw. Weisen zu Wirtschaften und Systeme zu kreieren, die große Bremsen für Futeranity (einem wichtigen Thema aus unserem letzten Talk) darstellen. Welche gesellschaftlichen Barrieren identifizierst Du? Und was für Lösungsansätze siehst Du hier?

Prof. Christian Berg: Zunächst einmal halte ich es für wichtig sich einzugestehen, dass es überhaupt solche gesellschaftlichen Barrieren gibt. Lange war man der Meinung, dass es ausreichend ist auf das zu hören, was „die Wissenschaft“ uns sagt. Also zum Beispiel, wir die CO2-Emissionen senken müssen, wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen. Aber leider (bzw. zum Glück!) sind Menschen und Gesellschaften nicht so leicht zu steuern wie technische Regelkreise. Wir haben ja gerade darüber gesprochen, dass Einsicht noch lange nicht zum Handeln führt. Wenn wir zum Beispiel eine immer stärkere Polarisierung in der Gesellschaft erleben, in der die einen immer vehementer für Klimaschutz eintreten und die anderen immer offener leugnen, dass es den Klimawandel überhaupt gibt, und vielleicht sogar Populisten an die Macht kommen und Klimaschutzverträge kündigen, dann haben wir nichts erreicht. Populismus ist für mich also eine dieser gesellschaftlichen Barrieren. Wie man den Populismus bekämpft ist ein schwieriges Thema, das sich nicht so einfach zusammenfassen lässt. Wichtig ist aber aus meiner Sicht, dass man sich mit den Fragen der Menschen auseinandersetzt, auf die die Populisten antworten. Eine andere gesellschaftliche Barriere sehe ich in der großen sozialen Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele gesellschaftliche Probleme (wie zum Beispiel Mangel an Vertrauen, Tötungsdelikte oder Übergewicht) sehr eng mit dem Grad der Ungleichheit in einer Gesellschaft zusammenhängen. Interessanterweise sind diese gesellschaftlichen Probleme in armen Ländern, die wenig Ungleichheit aufweisen, viel weniger ausgeprägt als in reichen, aber ungleichen Ländern! Um es mal etwas plakativ zu sagen: um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, um den Zusammenhalt zu stärken, müssen wir die Ungleichheit bekämpfen usw. Wir brauchen also ganzheitliche Ansätze, die den Zusammenhang ganz unterschiedlicher Probleme berücksichtigen.

Santa Meyer-Nandi: Warum gibt es solche Ansätze noch nicht, oder viel zu wenig?

Prof. Christian Berg: Das hängt damit zusammen, dass wir in allen gesellschaftlichen Bereichen immer mehr ausdifferenzieren, immer mehr spezialisieren, aber dabei das Ganze aus dem Blick verlieren. Interdisziplinär heißt es heute doch schon, wenn zwei Mediziner aus unterschiedlichen Gebieten miteinander reden – ganz analog gilt das für jedes wissenschaftliche Fach. Dummerweise tun uns unsere globalen Herausforderungen nicht den Gefallen, sich nach den Grenzen unserer Disziplinen zu richten. Deshalb brauchen wir mehr Anreize für integratives, ganzheitliches Denken und Handeln.

Santa Meyer-Nandi: Doch wie kommen wir genau dahin, dass ein ganzheitlicher Ansatz zur „Werks-Einstellung“ wird? Für mich geht das ganz stark wie oben besprochen über das Gefühl, oder das Wort, das uns ein wenig verlegen macht: die gute alte Liebe. In deinem Buch sprichst du z.B. über die Liebe zur Natur. Dazu möchte ich mit dir über ein AHA-Erlebnis sprechen, das ich dank deines Buches und meiner Situation des Lockdowns in der bayrischen Natur erfahren habe. Ich saß auf einer Bank, einen Kaffee auf dem Tisch (handgemahlen von meiner Tochter) und die Vögel zwitschern im Hintergrund… Dabei lese ich deine Worte: „Da immer mehr Menschen den größten Teil ihrer Zeit in künstlich geschaffenen Welten leben, ist es eine elementar wichtige Aufgabe, Faszination für die Wunder und die Schönheit der Natur zu kultivieren und zu vermitteln. Wir Menschen werden nur für das sorgen, was wir lieben – und wir werden nur das lieben, was wir auch erfahren und mit positiven Eindrücken verbunden haben.“ In diesem Moment fliegt mir freundlich eine Biene auf den nackten Fuß und auf einmal habe ich so einen Moment, in dem die Theorie auf einmal zur Praxis bzw. in mein Sein übergeht. Ich bin Städter, der die Natur zwar irgendwie schon liebt und doch hatte sie in meinem bisherigen Leben nicht ganz so aktiv Raum, trotz meines Selbst-Bildes. Ja, ich bin Nachhaltigkeit irgendwie von einer anderen Ecke angegangen und gleichzeitig geht es mir schon lange um Liebe, Identifikation, Wertschätzung als wichtige Wege zu Nachhaltigkeit. Und jetzt bringst du das eigentlich Offensichtliche ins Spiel: die Liebe und Identifikation mit der Natur. Doch wie kommen wir, vor allem Städter, dahin? Individuell, von außen nach innen und dann in unser System integriert?

Prof. Christian Berg: Dein Bienenbeispiel verdeutlicht sehr schön, dass es um einen Perspektivwechsel geht. Denn die Welt ist voller Wunder – aber um diese Wunder zu sehen und zu erleben, muss man nicht in ferne Länder und entlegene TerraX-Gegenden reisen und man braucht auch nicht Wissenschaftler zu sein und eine große Ausrüstung zu haben. Natur zu erleben und ihre Wunder zu sehen, kann man auch schon in der nächsten Umgebung, wie Deine Biene zeigt. Und selbst wenn man das Wachsen einer Zimmerpflanze beobachtet, kann man ins Staunen kommen. Wir haben vor zehn Jahren eine Amaryllis geschenkt bekommen, die wunderschön geblüht hat. Am Anfang hätten wir sie fast weggeschmissen, als sich nach der Blüte monatelang nichts tat. Und dann, ganz plötzlich, wuchs eine neue Blüte heraus. Man kann daran sehen, wie wichtig es ist, geduldig zu sein, warten zu können und trotzdem seine Aufgaben zu erledigen – denn ohne Pflege bzw. Wasser wäre die Pflanze vertrocknet.

Santa Meyer-Nandi: Geduld ist auch ein so wichtiges Prinzip, vielleicht auch als wunderbares Tandem zu Vertrauen. Apropos „weichere“ Prinzipien: In Kapitel 15 sprichst du auch von Dialogfähigkeit, wechselseitigem Verständnis, Vertrauen und multiplen Vorteilen. Ja, dass wir Selbstbezogenheit und das „Winner takes it all“-Prinzip hinter uns lassen und gemeinschaftlicher Denken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich deine Zeilen ergriffen, ja, fast so stark wie mit 12, als ich vom „Winde verweht“ las. Du sprichst sogar von einem Lösungsansatz des Forschungsmodells „Globale Nachhaltigkeit“, das wir das Nicht-Wissen, also den Prozess zu Nachhaltigkeit bzw. Futernatity mehr einschließen, damit spielen. Dann zitierst Du OECD Studien, in denen Studenten mit höherem sozio-ökonomischem Status über weniger Empathie verfügen, aber sich selber als empathischer empfinden, dass reiche Menschen weniger sozial handeln als Arme, und dass Frauen bzw. Mädchen sozialer als Jungen/Männer sind bzw. kollaborativer Probleme lösen. Du gehst sogar so weit zu suggerieren, dass du alleine deshalb mehr Frauen in Führunspositionen sehen möchtest. Ich möchte hier gar nicht so sehr in eine Feminismus-Debatte gehen, sondern mehr dahin, wie wir diese Fähigkeiten, die wir eher in den Soft Skills sehen, und eher Frauen zuschreiben, aber die es durchaus auch in Männern gibt, als Gesellschaft mehr anerkennen und fördern? Ich weiss, ich hole hier unglaublich aus. Die Frage treibt mich einfach um. Wir Frauen und Männer sind unterschiedlich, nur wir Frauen können z.B. Babys kriegen und stillen. Diesen Aspekt möchte ich gerne integrieren und gleichzeitig weiter fassen. Futeranity schließt für mich ein, dass Mann und Frau dafür geachtet und geschätzt wird, wenn mann/frau sich beruflich einschränkt/zurückzieht für seine Kinder. Als Frau, die in Frankreich lebt und oft in Deutschland ist, habe ich für die einen zu wenig, für die anderen zu viel gearbeitet. Von Männern kenne ich auch den sozialen Druck, dass es über eine mittlerweile als normal gesehene relativ kurze Vaterzeit hinaus, einfach ein No-Go wäre über Teilzeit-Modelle nachzudenken.

Prof. Christian Berg: das kann ich gut nachvollziehen, was Du beschreibst! Wie können wir Kooperation mehr anerkennen und fördern? Auch hier denke ich wieder, dass die Veränderung aus vielen Richtungen kommt. Wir sehen jetzt schon, wie sehr frühere Führungsideale hinterfragt werden – den einsamen Allein-Entscheider, der auf Basis gesicherten Wissens im Sinne seiner Organisation die richtigen Weichen stellt, hat es wohl nie gegeben. Und ich glaube, dass es viele Strömungen sind, die dies offen legen. Dazu trägt bei, dass wir heute wissen, wie wichtig Emotionen für Entscheidungen sind (und wie unwichtig oft das schiere Wissen), wie sehr sich Rollenbilder geändert haben, wozu zum Beispiel auch die #metoo-Debatte beigetragen hat und wie wichtig es ist, auf dem Wissen und den Einschätzungen anderer aufzubauen, wie es zum Beispiel im Design Thinking praktiziert wird. Ich glaube nicht, dass Frauen per se die besseren Menschen sind, aber dass sie durchaus kooperativer sind als Männer. Und das ist etwas, was wir gesellschaftlich viel mehr nutzen sollten.

Santa Meyer-Nandi: Auch in der Corona-Zeit ist das eine interessante Überlegung. Es kursieren Artikel in der Presse, die aufzeigen, dass die Länder mit Frauen als Präsidentin/Kanzlerin besser mit dem Virus umzugehen. Dann sah ich eine Statista Statistik, die verdeutlicht, dass die Krise vor allem von Frauen in Care Positionen (wie im Krankenhaus oder an der Kasse) getragen werden, die ironischerweise oft am schlechtesten bezahlt und gewertschätzt werden. Jetzt plant das Bundesarbeitsministerium mit dem Bundesgesundheitsministerium für alle systemrelevanten Bereiche, also u.a. das Gesundheitswesen, Logistik wie auch den Lebensmitteleinzelhandel ein befristetes Arbeitszeitgesetz: die maximale tägliche Arbeitszeit wird von zehn auf zwölf Stunden angehoben und – hier kommt ein weiterer Hammer – die vorgeschriebene Ruhezeit von elf auf neun Stunden verkürzt. Menschen, Frauen und Männer, die unsere Gesellschaft in dieser Krise tragen, und sowieso schon an ihrem Limit sind (Stichwort Stress und Immunsystem, das wir auch brauchen, um nicht schwer an Corona zu erkranken), sollen jetzt einfach länger arbeiten und kürzer ruhen. Das können wir als Gesellschaft doch besser, oder?

Prof. Christian Berg: Naja, es zeigt wohl wieder einmal die Kurzfristigkeit unseres Denkens. Im Krisenmodus, wenn es buchstäblich um Leben und Tod geht, mag es sein, dass solche Maßnahmen in der Pflege helfen können, Leben zu retten. Denn es gibt bei uns schlichtweg schon seit Jahren einen Pflegenotstand. Es gab auch vor Corona schon viel zu viel Arbeit für viel zu wenige Menschen – und das liegt natürlich daran, dass die Pflegeberufe – aber auch viele andere – viel zu schlecht bezahlt werden, ungünstige Arbeitszeiten haben und gesellschaftlich zu wenig Anerkennung finden. Hoffen wir, dass unser kollektives Gedächtnis nicht allzu dement ist und wir uns nach Corona noch daran erinnern, was wir den „systemrelevanten“ Berufen verdanken.

Santa Meyer-Nandi: Oh ja! Hoffen und bewegen wir weiter! Dankbarkeit und Bewusstsein sind wirklich unglaublich wichtig, denn je mehr wir konkreter verstehen, dass diese Menschen im Hintergrund, die für wenig Geld unglaubliche Arbeiten verrichten, ob nun zu Putzen, Menschen zu Waschen und lauter andere, von uns als wenig glamourös empfundene, aber sehr notwendige Arbeiten verrichten, echte „Dienst-Leistungen“, können wir unseren kollektiven Wertschätzungs-Muskel trainieren und dem Taten folgen lassen. Ich kenne viele Menschen in Pflege-Berufen wie meine Mutter, Hospiz-Schwester, oder Stephanie Schnitker und meine wundervolle Hebamme Birgit Landwehr, beide aus unserem Team. All diese Menschen sind oft sehr stark im Tun und legen weniger Wert auf große Worte. Vielleicht haben wir auch deshalb oft eine Tendenz, diesen Menschen keine Stimme zu geben. Und genau das müssen wir unbedingt tun, Räume für ihre Stimme schaffen. Miteinander sprechen und mehr fragen. Danke, lieber Christian, für diesen wieder sehr spannenden Austausch! Ich freue mich auf’s nächste Mal.

Welche Themen hättet ihr gerne in unserem nächsten Chat, liebe Leserinnen und Leser?

Foto: Melvin Berg

Christian Berg gehört zum deutschen Präsidium des Club of Rome, hält Vorträge und lehrt an verschiedenen Hochschulen. Er war verantwortlich für die Arbeitsgruppe „Nachhaltiges Wirtschaften und Wachstum“ im Rahmen des von Angela Merkel initiierten Zukunftsdialogs und in der Managementberatung bei SAP für das Thema Nachhaltigkeit zuständig.

Ausgehend von der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, hat Christian Berg zunächst Physik und Philosophie studiert, später noch Theologie. Über eine Dissertation zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft ist er zu der Frage gelangt, wie wir verantwortungsvoll mit der Schöpfung umgehen und Technik entsprechend einsetzen – der Anlass für eine weitere, diesmal ingenieurwissenschaftliche Promotion.

Weitere Infos und jede Menge Interaktion findet Ihr auf unserer  Facebookseite “Finding Sustainia“ und bei Twitter unter @Finding_S.

Wir freuen uns auch, wenn ihr Euch in der rechten Spalte unseres Blogs für unseren Newsletter anmeldet. So bleiben wir gut verbunden.

einen Kaffee auf dem Tisch (handgemahlen von meiner Tochter) und die Vögel switschern im Hintergrund und ich lese, wie du schreibst: „Da immer mehr Menschen den grössten Teil ihrer Zeit in künstlich geschaffenen Welten leben, ist es eine elementar wichtige Aufgabe, Faszination für die Wunder und die Schönheit der Natur zu kultivieren und zu vermitteln. Wir Menschen werden nur für das sorgen, was wir lieben – und wir werden nur das lieben, was wir auch erfahren und mit positiven Eindrücken verbunden haben.“ In diesem Moment fliegt mir freundlich eine Biene auf den nackten Fuss und auf einmal habe ich so einen Moment, in dem die Theorie auf einmal zur Praxis bzw. in mein Sein übergeht. Ich bin Städter, der die Natur zwar irgendwie schon liebt und doch hatte sie in meinem bisherigen Leben nicht ganz so aktiv Raum, trotz meines Selbst-Bildes. Ja, ich bin Nachhaltigkeit irgendwie von einer anderen Ecke angegangen und gleichzeitig geht es mir schon lange um Liebe, Identifikation, Wertschätzung als wichtige Wege zu Nachhaltigkeit. Und jetzt bringst du das eigentlich Offensichtliche ins Spiel: die Liebe und Identifikation mit der Natur. Doch wie kommen wir, vor allem Städter, dahin? Individuell, von außen nach innen und dann in unser System integriert?CB: Dein Bienenbeispiel verdeutlicht sehr schön, dass es um einen Perspektivwechsel geht. Denn die Welt ist voller Wunder – aber um diese Wunder zu sehen und zu erleben, muss man nicht in ferne Länder und entlegene TerraX-Gegenden reisen und man braucht auch nicht Wissenschaftler zu sein und eine große Ausrüstung zu haben. Natur zu erleben und ihre Wunder zu sehen, kann man auch schon in der nächsten Umgebung, wie Deine Biene zeigt. Und selbst wenn man das Wachsen einer Zimmerpflanze beobachtet, kann man ins Staunen kommen. Wir haben vor zehn Jahren eine Amaryllis geschenkt bekommen, die wunderschön geblüht hat. Am Anfang hätten wir sie fast weggeschmissen, als sich nach der Blüte monatelang nichts tat. Und dann, ganz plötzlich, wuchs eineneue Blüte heraus. Man kann daran sehen, wie wichtig es ist, geduldig zu sein, warten zu können und trotzdem seine Aufgaben zu erledigen – denn ohne Pflege bzw. Wasser wäre die Pflanze vertrocknet. SMN: Geduld ist auch ein so wichtiges Prinzip, vielleicht auch als wunderbares Tandem zu Vertrauen.Apropos „weichere“ Prinzipien: In Kapitel 15 sprichst du auch von Dialogfähigkeit, wechselseitiges Verständnis, Vertrauen und multiple Vorteile. Ja, dass wir Selbstbezogenheit und das „Winner takes it all“-Prinzip hinter uns lassen und gemeinschaftlicher Denken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich deine Zeilen ergriffen, ja, fast so stark wie mit 12, als ich vom „Winde verweht“ las. Du sprichst sogar von einem Lösungsansatz des Forschungsmodell „Globale Nachhaltigkeit“, das wir das Nicht-Wissen, also den Prozess zu Nachhaltigkeit bzw. Futernatity mehr einschliessen, damit spielen.Dann zitierst Du OECD Studien, in den Studenten mit höherem sozio-ökonomischen Status über weniger Empathie verfügen, aber sich selber als empathischer empfinden, dass reiche Menschen weniger sozial handeln als Arme, und dass Frauen bzw. Mädchen sozialer als Jungen/Männer sind bzw. kollaborativer Probelem lösen. Du gehst sogar so weit zu suggerieren, dass du deshalb allein mehr Frauen in Führunspositionen sehen möchtest. Ich möchte hier gar nicht so sehr in eine Feminismus-Debatte gehen, sondern mehr dahin, wie wir diese Fähigkeiten, die wir eher in den Soft Skills sehen, und eher Frauen zuschreiben, aber die es durchaus auch in Männern gibt, als Gesellschaft mehr anerkennen und fördern? Ich weiss, ich hole hier unglaublich aus. Die Frage treibt mich einfach um. Wir Frauen und Männer sind unterschiedlich, nur wir Frauen können z.B. Babys kriegen und stillen. Diesen Aspekt möchte ich gerne integrieren und gleichzeitig weiter fassen. Futeranity schliesst für mich ein, dass Mann und Frau dafür geachtet und geschätzt wird, wenn man/frau sich beruflich einschränkt/zurück zieht für seine Kinder. Als Frau, die in Frankreich lebt und oft in Deutschland ist, habe ich für die einen zu viel, für die anderen zu wenig gearbeitet. Von Männern kenne ich auch den sozialen Druck, dass über eine etwas als normaler gesehene Vaterzeit hinaus, es einfach ein No-Go wäre über Teilzeit-Modelle nachzudenken. CB: das kann ich gut nachvollziehen, was Du beschreibst! Wie können wir Kooperation mehr anerkennen und fördern? Auch hier denke ich wieder, dass die Veränderung aus vielen Richtungen kommt. Wir sehen jetzt schon, wie sehr frühere Führungsideale hinterfragt werden – den einsamen Allein-Entscheider, der auf Basis gesicherten Wissens im Sinne seiner Organisation die richtigen Weichen stellt, hat es wohl nie gegeben. Und ich glaube, dass es viele Strömungen sind, die dies offenlegen. Dazu trägt bei, dass wir heute wissen, wie wichtig Emotionen für Entscheidungen sein (und wie unwichtig oft das schiere Wissen), wie sehr sich Rollenbilder geändert haben, wozu zum Beispiel auch die metoo-Debatte beigetragen hat und wie wichtig es ist, auf dem Wissen und den Einschätzungen anderer aufzubauen, wie es zum Beispiel im Design Thinking praktiziert wird. Ich glaube nicht, dass Frauen per se die besseren Menschen sind, aber dass sie durchaus kooperativer sind als Männer. Und das ist etwas, was wir gesellschaftlich viel mehr nutzen sollten. SMN: Auch in der Corona-Zeit ist das eine interessante Überlegung. Es kursieren Artikel in der Presse, die aufzeigen, dass die Länder mit Frauen als Präsidentin/Kanzlerin die besten Weisen haben,mit dem Virus umzugehen. Dann sah ich eine Statista Statistik, die verdeutlicht, dass die Krise vor allem von Frauen in Care Positionen (wie im Krankenhaus oder an der Kasse) getragen werden, die ironischerweise oft am schlechtesten bezahlt und gewertschätzt werden. Jetzt plant das Bundesarbeitsministerium mit dem Bundesgesundheitsministerium für alle systemrelevanten Bereiche, also u.a. das Gesundheitswesen, Logistik wie auch den Lebensmitteleinzelhandel ein befristetes Arbeitszeitgesetz: die maximale tägliche Arbeitszeit wird von zehn auf zwölf Stunden angehoben und – hier kommt ein weiterer Hammer- die vorgeschriebene Ruhezeit von elf auf neun Stunden verkürzt. Menschen, Frauen und Männer, die unsere Gesellschaft in dieser Krise tragen, undsowieso schon an ihrem Limit sind (Stichwort Stress und Immunsystem, das wir auch brauchen, um nicht schwer an Corona zu erkranken), sollen jetzt einfach länger arbeiten und kürzer ruhen. Das können wir als Gesellschaft doch besser, oder?CB: Naja, es zeigt wohl wieder einmal die Kurzfristigkeit unseres Denkens. Im Krisenmodus, wenn es buchstäblich um Leben und Tod geht, mag es sein, dass solche Maßnahmen in der Pflege helfen können, Leben zu retten. Denn es gibt bei uns schlichtweg schon seit Jahren einen Pflegenotstand. Esgab auch vor Corona schon viel zu viel Arbeit für viel zu wenige Menschen – und das liegt natürlich daran, dass die Pflegeberufe – aber auch viele andere – viel zu schlecht bezahlt werden, ungünstige Arbeitszeiten haben und gesellschaftlich zu wenig Anerkennung finden. Hoffen wir, dass unser kollektives Gedächtnis nicht allzu dement ist und wir uns nach Corona noch daran erinnern, was wir den „systemrelevanten“ Berufen verdanken. Oh ja, hoffen und bewegen wir weiter!

SMN: Es ist doch klar, dass es sich in unserem derzeitigen System schwierig anfühlt, bestimmten weicheren Werten Raum zu geben, weil sie doch von uns oft als Erfolgs-Hemmschuhe gefühlt werden. Ausserdem dürfen wir auch nicht die Macht der „Referenzpunkte“ unterschätzen: wenn es gesellschaftlich als besonders schätzenswert/“erfolgreich“ gilt, nett zu sein, dann richten wir uns auch direkt danach. So wie man früher gar nicht auf die Idee gekommen wäre, Müll auf die Strasse zu werfen, als „extrinsischster“ Grund, damit die Nachbarin von nebenan das nicht sieht.Und daher würde ich liebend gerne mit Dir darüber sprechen, wie wir gesellschaftlichen Barrieren entgegen wirken, also Verhaltens- bzw. Weisen zu Wirtschaften und Systeme zu kreieren, die große Bremsen für Futeranity, das wir in unserem letzten Chat besprachen, darstellen. Welche gesellschaftlichen Barrieren identifizierst du? Und was für Lösungsansätze siehst du hier?CB: Zunächst einmal halte ich es für wichtig sich einzugestehen, dass es überhaupt solche gesellschaftlichen Barrieren gibt. Lange war man der Meinung, dass es ausreichend ist auf das zu hören, was „die Wissenschaft“ uns sagt. Also zum Beispiel, wir die CO2-Emissionen senken müssen, wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen. Aber leider (bzw. zum Glück!) sind Menschen und Gesellschaften nicht so leicht zu steuern wie technische Regelkreise. Wir haben ja gerade darüber gesprochen, dass Einsicht noch lange nicht zum Handeln führt. Wenn wir zum Beispiel eine immer stärkere Polarisierung in der Gesellschaft erleben, in der die einen immer vehementer für Klimaschutz eintreten und die anderen immer offener leugnen, dass es den Klimawandel überhaupt gibt, und vielleicht sogar Populisten an die Macht kommen und Klimaschutzverträge kündigen, dann haben wir nichts erreicht. Populismus ist für mich also eine dieser gesellschaftlichen Barrieren. Wie man den Populismus bekämpft ist ein schwieriges Thema, das sich nicht so einfach zusammenfassen lässt. Wichtig ist aber aus meiner Sicht, dass man sich mit den Fragen der Menschen auseinandersetzt, auf die die Populisten antworten. Eine andere gesellschaftliche Barriere sehe ich in der großen sozialen Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele gesellschaftliche Probleme (wie zum Beispiel Mangel an Vertrauen, Tötungsdelikte oder Übergewicht) sehr eng mit dem Grad der Ungleichheit in einer Gesellschaft zusammenhängen. Interessanterweise sind diese gesellschaftlichen Probleme in armen Ländern, die wenig Ungleichheit aufweisen, viel weniger ausgeprägt als in reichen, aber ungleichen Ländern! Um es mal etwas plakativ zu sagen: um den Klimawandeln zu bekämpfen, müssen wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, um den Zusammenhalt zu stärken, müssen wir die Ungleichheit bekämpfen usw. Wir brauchen also ganzheitliche Ansätze, die den Zusammenhang ganz unterschiedlicher Probleme berücksichtigen. SMN: Warum gibt es solche Ansätze noch nicht, oder viel zu wenig? CB: Das hängt damit zusammen, dass wir in allen gesellschaftlichen Bereichen immer mehr ausdifferenzieren, immer mehr spezialisieren, aber dabei das Ganze aus dem Blick verlieren. Interdisziplinär heißt es heute doch schon, wenn zwei Mediziner aus unterschiedlichen Gebieten miteinander reden – ganz analog gilt das für jedes wissenschaftliche Fach. Dummerweise tun uns unsere globalen Herausforderungen nicht den Gefallen, sich nach den Grenzen unserer Disziplinen zu richten. Deshalb brauchen wir mehr Anreize für integratives, ganzheitliches Denken und Handeln. SMN: Doch wie kommen wir genau dahin, dass ein ganzheitlicher Ansatz zur „Werks-Einstellung“ wird? Für mich geht das ganz stark wie oben besprochen über das Gefühl, oder das Wort, das uns ein wenig verlegen macht: die gute alte Liebe. In deinem Buch sprichst du z.B. über die Liebe zur Natur. Dazu möchte ich mit dir über ein AHA-Erlebnis sprechen, das ich dank deines Buches und meiner Situation des Lockdowns in der bayrischen Natur erfahren habe. Ich sitze also auf einer Bank,einen Kaffee auf dem Tisch (handgemahlen von meiner Tochter) und die Vögel switschern im Hintergrund und ich lese, wie du schreibst: „Da immer mehr Menschen den grössten Teil ihrer Zeit in künstlich geschaffenen Welten leben, ist es eine elementar wichtige Aufgabe, Faszination für die Wunder und die Schönheit der Natur zu kultivieren und zu vermitteln. Wir Menschen werden nur für das sorgen, was wir lieben – und wir werden nur das lieben, was wir auch erfahren und mit positiven Eindrücken verbunden haben.“ In diesem Moment fliegt mir freundlich eine Biene auf den nackten Fuss und auf einmal habe ich so einen Moment, in dem die Theorie auf einmal zur Praxis bzw. in mein Sein übergeht. Ich bin Städter, der die Natur zwar irgendwie schon liebt und doch hatte sie in meinem bisherigen Leben nicht ganz so aktiv Raum, trotz meines Selbst-Bildes. Ja, ich bin Nachhaltigkeit irgendwie von einer anderen Ecke angegangen und gleichzeitig geht es mir schon lange um Liebe, Identifikation, Wertschätzung als wichtige Wege zu Nachhaltigkeit. Und jetzt bringst du das eigentlich Offensichtliche ins Spiel: die Liebe und Identifikation mit der Natur. Doch wie kommen wir, vor allem Städter, dahin? Individuell, von außen nach innen und dann in unser System integriert?CB: Dein Bienenbeispiel verdeutlicht sehr schön, dass es um einen Perspektivwechsel geht. Denn die Welt ist voller Wunder – aber um diese Wunder zu sehen und zu erleben, muss man nicht in ferne Länder und entlegene TerraX-Gegenden reisen und man braucht auch nicht Wissenschaftler zu sein und eine große Ausrüstung zu haben. Natur zu erleben und ihre Wunder zu sehen, kann man auch schon in der nächsten Umgebung, wie Deine Biene zeigt. Und selbst wenn man das Wachsen einer Zimmerpflanze beobachtet, kann man ins Staunen kommen. Wir haben vor zehn Jahren eine Amaryllis geschenkt bekommen, die wunderschön geblüht hat. Am Anfang hätten wir sie fast weggeschmissen, als sich nach der Blüte monatelang nichts tat. Und dann, ganz plötzlich, wuchs eineneue Blüte heraus. Man kann daran sehen, wie wichtig es ist, geduldig zu sein, warten zu können und trotzdem seine Aufgaben zu erledigen – denn ohne Pflege bzw. Wasser wäre die Pflanze vertrocknet. SMN: Geduld ist auch ein so wichtiges Prinzip, vielleicht auch als wunderbares Tandem zu Vertrauen.Apropos „weichere“ Prinzipien: In Kapitel 15 sprichst du auch von Dialogfähigkeit, wechselseitiges Verständnis, Vertrauen und multiple Vorteile. Ja, dass wir Selbstbezogenheit und das „Winner takes it all“-Prinzip hinter uns lassen und gemeinschaftlicher Denken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich deine Zeilen ergriffen, ja, fast so stark wie mit 12, als ich vom „Winde verweht“ las. Du sprichst sogar von einem Lösungsansatz des Forschungsmodell „Globale Nachhaltigkeit“, das wir das Nicht-Wissen, also den Prozess zu Nachhaltigkeit bzw. Futernatity mehr einschliessen, damit spielen.Dann zitierst Du OECD Studien, in den Studenten mit höherem sozio-ökonomischen Status über weniger Empathie verfügen, aber sich selber als empathischer empfinden, dass reiche Menschen weniger sozial handeln als Arme, und dass Frauen bzw. Mädchen sozialer als Jungen/Männer sind bzw. kollaborativer Probelem lösen. Du gehst sogar so weit zu suggerieren, dass du deshalb allein mehr Frauen in Führunspositionen sehen möchtest. Ich möchte hier gar nicht so sehr in eine Feminismus-Debatte gehen, sondern mehr dahin, wie wir diese Fähigkeiten, die wir eher in den Soft Skills sehen, und eher Frauen zuschreiben, aber die es durchaus auch in Männern gibt, als Gesellschaft mehr anerkennen und fördern? Ich weiss, ich hole hier unglaublich aus. Die Frage treibt mich einfach um. Wir Frauen und Männer sind unterschiedlich, nur wir Frauen können z.B. Babys kriegen und stillen. Diesen Aspekt möchte ich gerne integrieren und gleichzeitig weiter fassen. Futeranity schliesst für mich ein, dass Mann und Frau dafür geachtet und geschätzt wird, wenn man/frau sich beruflich einschränkt/zurück zieht für seine Kinder. Als Frau, die in Frankreich lebt und oft in Deutschland ist, habe ich für die einen zu viel, für die anderen zu wenig gearbeitet. Von Männern kenne ich auch den sozialen Druck, dass über eine etwas als normaler gesehene Vaterzeit hinaus, es einfach ein No-Go wäre über Teilzeit-Modelle nachzudenken. CB: das kann ich gut nachvollziehen, was Du beschreibst! Wie können wir Kooperation mehr anerkennen und fördern? Auch hier denke ich wieder, dass die Veränderung aus vielen Richtungen kommt. Wir sehen jetzt schon, wie sehr frühere Führungsideale hinterfragt werden – den einsamen Allein-Entscheider, der auf Basis gesicherten Wissens im Sinne seiner Organisation die richtigen Weichen stellt, hat es wohl nie gegeben. Und ich glaube, dass es viele Strömungen sind, die dies offenlegen. Dazu trägt bei, dass wir heute wissen, wie wichtig Emotionen für Entscheidungen sein (und wie unwichtig oft das schiere Wissen), wie sehr sich Rollenbilder geändert haben, wozu zum Beispiel auch die metoo-Debatte beigetragen hat und wie wichtig es ist, auf dem Wissen und den Einschätzungen anderer aufzubauen, wie es zum Beispiel im Design Thinking praktiziert wird. Ich glaube nicht, dass Frauen per se die besseren Menschen sind, aber dass sie durchaus kooperativer sind als Männer. Und das ist etwas, was wir gesellschaftlich viel mehr nutzen sollten. SMN: Auch in der Corona-Zeit ist das eine interessante Überlegung. Es kursieren Artikel in der Presse, die aufzeigen, dass die Länder mit Frauen als Präsidentin/Kanzlerin die besten Weisen haben,mit dem Virus umzugehen. Dann sah ich eine Statista Statistik, die verdeutlicht, dass die Krise vor allem von Frauen in Care Positionen (wie im Krankenhaus oder an der Kasse) getragen werden, die ironischerweise oft am schlechtesten bezahlt und gewertschätzt werden. Jetzt plant das Bundesarbeitsministerium mit dem Bundesgesundheitsministerium für alle systemrelevanten Bereiche, also u.a. das Gesundheitswesen, Logistik wie auch den Lebensmitteleinzelhandel ein befristetes Arbeitszeitgesetz: die maximale tägliche Arbeitszeit wird von zehn auf zwölf Stunden angehoben und – hier kommt ein weiterer Hammer- die vorgeschriebene Ruhezeit von elf auf neun Stunden verkürzt. Menschen, Frauen und Männer, die unsere Gesellschaft in dieser Krise tragen, undsowieso schon an ihrem Limit sind (Stichwort Stress und Immunsystem, das wir auch brauchen, um nicht schwer an Corona zu erkranken), sollen jetzt einfach länger arbeiten und kürzer ruhen. Das können wir als Gesellschaft doch besser, oder?CB: Naja, es zeigt wohl wieder einmal die Kurzfristigkeit unseres Denkens. Im Krisenmodus, wenn es buchstäblich um Leben und Tod geht, mag es sein, dass solche Maßnahmen in der Pflege helfen können, Leben zu retten. Denn es gibt bei uns schlichtweg schon seit Jahren einen Pflegenotstand. Esgab auch vor Corona schon viel zu viel Arbeit für viel zu wenige Menschen – und das liegt natürlich daran, dass die Pflegeberufe – aber auch viele andere – viel zu schlecht bezahlt werden, ungünstige Arbeitszeiten haben und gesellschaftlich zu wenig Anerkennung finden. Hoffen wir, dass unser kollektives Gedächtnis nicht allzu dement ist und wir uns nach Corona noch daran erinnern, was wir den „systemrelevanten“ Berufen verdanken. Oh ja, hoffen und bewegen wir weiter!

nachhaltigeren Produkte nicht teurer sein dürfen als die schädlichen. Das heißt auch, dass es gute Angebote für nachhaltigere Lösungen geben muss – zum Beispiel im Verkehr. Wir sehen ja, dass viele Menschen in Ballungsräumen mit gutem ÖPNV das Auto stehen lassen, oder gar keins mehr haben. Und Nudging (heißt ja eigentlich Anstupsen) kann auch dazu beitragen: warum sind Büro-Drucker nicht zum Beispiel ab Werk so eingestellt, dass sie doppelseitig drucken? Das wäre eine recht einfache Maßnahme, die viel Papier sparen könnte. Es hat sich allerdings gezeigt, dass es wichtig ist, auch ein „opt-out“ zuzulassen, das heißt, es muss möglich sein, eine andere Alternative zu wählen – sonst führt das zu Abwehrreaktionen, weil sich niemand gerne bevormunden lässt. Oder wie siehst Du das, Santa? SMN: Das mit der Werks-Einstellung sehe ich genauso bzw. ganz kurz gesagt: die nachhaltige Variante muss die einfachste, beste und am leichteinfachesten zugänglichste Variante sein, und nicht mit maßgeblichem Mehraufwand verbunden sein. Etwas, was ich persönlich auch wichtig finde, und auch in Deinem Buch immer wieder rauslese, ist, einen gesellschaftlichen Nährboden zu schaffen, der Achtsamkeit, Solidarität, Kollaboration wie auch Wertschätzung…ähem…wertschätzt. Ich denke da z.B. an unser Bildungs-System und eigentlich daran, wie dominante Bereiche unserer Gesellschaft und Kapitalismus per se funktionieren: und zwar über Wettbewerb, harte Fakten bzw. eine Produkt-Orientierung (Erfolg, Geld, Noten usw.). Prozess-Orientierung öffnet für mich den Spassund die Freude an dem Lösen der Aufgabe, als Abenteuer. Wir sprechen hier von intrinsicher vs. extrinsischer Motivation. Es gibt immer mehr Studien dazu, wie Noten, Strafen und Belohnungen nicht nur unseren Spaß killen – es hemmt sogar unsere kreativen Fähigkeiten. Kurzum, das Produkt leidet auch darunter, wenn es uns nur um’s Ziel-Erreichen geht.CB: …. Beispiel mit OECD Studie (, das ich unten erwähnte und dass wir evtl. entfernen könnten – what do you think?)Ich persönlich bin ja wahnsinnig fasziniert davon, wie sich das Kleine im Grossen wieder findet. Ich habe letztens von der Universität Yale einen Kurs zu „Science of Well-Being“ besucht und da gab es einige Studien, die belegten, dass es sich, entgegen gewisser „Intuitionen“ unsererseits, sehr für unser Wohlbefinden lohnt, nett zu Anderen zu sein und gemeinschaftlich zu denken, eigentlich von uns selber heraus daran zu arbeiten, die Barrieren der menschlichen Natur in uns zu reduzieren. CB: Ja, das ist interessant! Aber ich glaube, hier gibt es eine sehr feine, aber wichtige Unterscheidung. Wenn ich nett zu anderen bin, weil ich mir dadurch erhoffe, selbst glücklicher zu sein, dann werde ich damit nur begrenzten Erfolg haben, denn ich kreise letztlich doch wieder nur um mich und die anderen sind mir eigentlich egal. Wenn ich mich aber ständig mit der Frage beschäftige, wie ich glücklich werde, ist das ein sicheres Rezept dafür, genau das nicht zu erreichen. Viele Dinge tun wir (zum Glück immer noch), weil sie einfach richtig sind, weil wir es so gelernt haben. Manche Ökonomen haben uns lange einreden wollen, dass wir alle nur unseren eigenen Vorteil suchen – das hat sich mittlerweile zum Glück als falsch erwiesen. SMN: Darf ich Dir ein klein bißchen und ganz respektvoll widersprechen bzw. ergänzen, lieber Christian? Viele Wege führen nach Rom bzw. es kann sein, dass ich erst einmal, „nur“ um glücklich zusein, netter handle. Wenn ich merke, wie schön es war, die Dankbarkeit im Gesicht der alten Dame zu sehen, der ich über die Strasse half, dann geht das automatisch in mein System über als das, was mir gefällt. Der Anfang ist oft schwer und da finde ich es wichtig, dass wir erst einmal neutral UND empathisch damit umgehen, dass jeder andere Wege der Motivation findet. CB: Da hast Du ganz sicher Recht, liebe Santa, vielen Dank für die Ergänzung! SMN: Es ist doch klar, dass es sich in unserem derzeitigen System schwierig anfühlt, bestimmten weicheren Werten Raum zu geben, weil sie doch von uns oft als Erfolgs-Hemmschuhe gefühlt werden. Ausserdem dürfen wir auch nicht die Macht der „Referenzpunkte“ unterschätzen: wenn es gesellschaftlich als besonders schätzenswert/“erfolgreich“ gilt, nett zu sein, dann richten wir uns auch direkt danach. So wie man früher gar nicht auf die Idee gekommen wäre, Müll auf die Strasse zu werfen, als „extrinsischster“ Grund, damit die Nachbarin von nebenan das nicht sieht.Und daher würde ich liebend gerne mit Dir darüber sprechen, wie wir gesellschaftlichen Barrieren entgegen wirken, also Verhaltens- bzw. Weisen zu Wirtschaften und Systeme zu kreieren, die große Bremsen für Futeranity, das wir in unserem letzten Chat besprachen, darstellen. Welche gesellschaftlichen Barrieren identifizierst du? Und was für Lösungsansätze siehst du hier?CB: Zunächst einmal halte ich es für wichtig sich einzugestehen, dass es überhaupt solche gesellschaftlichen Barrieren gibt. Lange war man der Meinung, dass es ausreichend ist auf das zu hören, was „die Wissenschaft“ uns sagt. Also zum Beispiel, wir die CO2-Emissionen senken müssen, wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen. Aber leider (bzw. zum Glück!) sind Menschen und Gesellschaften nicht so leicht zu steuern wie technische Regelkreise. Wir haben ja gerade darüber gesprochen, dass Einsicht noch lange nicht zum Handeln führt. Wenn wir zum Beispiel eine immer stärkere Polarisierung in der Gesellschaft erleben, in der die einen immer vehementer für Klimaschutz eintreten und die anderen immer offener leugnen, dass es den Klimawandel überhaupt gibt, und vielleicht sogar Populisten an die Macht kommen und Klimaschutzverträge kündigen, dann haben wir nichts erreicht. Populismus ist für mich also eine dieser gesellschaftlichen Barrieren. Wie man den Populismus bekämpft ist ein schwieriges Thema, das sich nicht so einfach zusammenfassen lässt. Wichtig ist aber aus meiner Sicht, dass man sich mit den Fragen der Menschen auseinandersetzt, auf die die Populisten antworten. Eine andere gesellschaftliche Barriere sehe ich in der großen sozialen Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele gesellschaftliche Probleme (wie zum Beispiel Mangel an Vertrauen, Tötungsdelikte oder Übergewicht) sehr eng mit dem Grad der Ungleichheit in einer Gesellschaft zusammenhängen. Interessanterweise sind diese gesellschaftlichen Probleme in armen Ländern, die wenig Ungleichheit aufweisen, viel weniger ausgeprägt als in reichen, aber ungleichen Ländern! Um es mal etwas plakativ zu sagen: um den Klimawandeln zu bekämpfen, müssen wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, um den Zusammenhalt zu stärken, müssen wir die Ungleichheit bekämpfen usw. Wir brauchen also ganzheitliche Ansätze, die den Zusammenhang ganz unterschiedlicher Probleme berücksichtigen. SMN: Warum gibt es solche Ansätze noch nicht, oder viel zu wenig? CB: Das hängt damit zusammen, dass wir in allen gesellschaftlichen Bereichen immer mehr ausdifferenzieren, immer mehr spezialisieren, aber dabei das Ganze aus dem Blick verlieren. Interdisziplinär heißt es heute doch schon, wenn zwei Mediziner aus unterschiedlichen Gebieten miteinander reden – ganz analog gilt das für jedes wissenschaftliche Fach. Dummerweise tun uns unsere globalen Herausforderungen nicht den Gefallen, sich nach den Grenzen unserer Disziplinen zu richten. Deshalb brauchen wir mehr Anreize für integratives, ganzheitliches Denken und Handeln. SMN: Doch wie kommen wir genau dahin, dass ein ganzheitlicher Ansatz zur „Werks-Einstellung“ wird? Für mich geht das ganz stark wie oben besprochen über das Gefühl, oder das Wort, das uns ein wenig verlegen macht: die gute alte Liebe. In deinem Buch sprichst du z.B. über die Liebe zur Natur. Dazu möchte ich mit dir über ein AHA-Erlebnis sprechen, das ich dank deines Buches und meiner Situation des Lockdowns in der bayrischen Natur erfahren habe. Ich sitze also auf einer Bank,einen Kaffee auf dem Tisch (handgemahlen von meiner Tochter) und die Vögel switschern im Hintergrund und ich lese, wie du schreibst: „Da immer mehr Menschen den grössten Teil ihrer Zeit in künstlich geschaffenen Welten leben, ist es eine elementar wichtige Aufgabe, Faszination für die Wunder und die Schönheit der Natur zu kultivieren und zu vermitteln. Wir Menschen werden nur für das sorgen, was wir lieben – und wir werden nur das lieben, was wir auch erfahren und mit positiven Eindrücken verbunden haben.“ In diesem Moment fliegt mir freundlich eine Biene auf den nackten Fuss und auf einmal habe ich so einen Moment, in dem die Theorie auf einmal zur Praxis bzw. in mein Sein übergeht. Ich bin Städter, der die Natur zwar irgendwie schon liebt und doch hatte sie in meinem bisherigen Leben nicht ganz so aktiv Raum, trotz meines Selbst-Bildes. Ja, ich bin Nachhaltigkeit irgendwie von einer anderen Ecke angegangen und gleichzeitig geht es mir schon lange um Liebe, Identifikation, Wertschätzung als wichtige Wege zu Nachhaltigkeit. Und jetzt bringst du das eigentlich Offensichtliche ins Spiel: die Liebe und Identifikation mit der Natur. Doch wie kommen wir, vor allem Städter, dahin? Individuell, von außen nach innen und dann in unser System integriert?CB: Dein Bienenbeispiel verdeutlicht sehr schön, dass es um einen Perspektivwechsel geht. Denn die Welt ist voller Wunder – aber um diese Wunder zu sehen und zu erleben, muss man nicht in ferne Länder und entlegene TerraX-Gegenden reisen und man braucht auch nicht Wissenschaftler zu sein und eine große Ausrüstung zu haben. Natur zu erleben und ihre Wunder zu sehen, kann man auch schon in der nächsten Umgebung, wie Deine Biene zeigt. Und selbst wenn man das Wachsen einer Zimmerpflanze beobachtet, kann man ins Staunen kommen. Wir haben vor zehn Jahren eine Amaryllis geschenkt bekommen, die wunderschön geblüht hat. Am Anfang hätten wir sie fast weggeschmissen, als sich nach der Blüte monatelang nichts tat. Und dann, ganz plötzlich, wuchs eineneue Blüte heraus. Man kann daran sehen, wie wichtig es ist, geduldig zu sein, warten zu können und trotzdem seine Aufgaben zu erledigen – denn ohne Pflege bzw. Wasser wäre die Pflanze vertrocknet. SMN: Geduld ist auch ein so wichtiges Prinzip, vielleicht auch als wunderbares Tandem zu Vertrauen.Apropos „weichere“ Prinzipien: In Kapitel 15 sprichst du auch von Dialogfähigkeit, wechselseitiges Verständnis, Vertrauen und multiple Vorteile. Ja, dass wir Selbstbezogenheit und das „Winner takes it all“-Prinzip hinter uns lassen und gemeinschaftlicher Denken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich deine Zeilen ergriffen, ja, fast so stark wie mit 12, als ich vom „Winde verweht“ las. Du sprichst sogar von einem Lösungsansatz des Forschungsmodell „Globale Nachhaltigkeit“, das wir das Nicht-Wissen, also den Prozess zu Nachhaltigkeit bzw. Futernatity mehr einschliessen, damit spielen.Dann zitierst Du OECD Studien, in den Studenten mit höherem sozio-ökonomischen Status über weniger Empathie verfügen, aber sich selber als empathischer empfinden, dass reiche Menschen weniger sozial handeln als Arme, und dass Frauen bzw. Mädchen sozialer als Jungen/Männer sind bzw. kollaborativer Probelem lösen. Du gehst sogar so weit zu suggerieren, dass du deshalb allein mehr Frauen in Führunspositionen sehen möchtest. Ich möchte hier gar nicht so sehr in eine Feminismus-Debatte gehen, sondern mehr dahin, wie wir diese Fähigkeiten, die wir eher in den Soft Skills sehen, und eher Frauen zuschreiben, aber die es durchaus auch in Männern gibt, als Gesellschaft mehr anerkennen und fördern? Ich weiss, ich hole hier unglaublich aus. Die Frage treibt mich einfach um. Wir Frauen und Männer sind unterschiedlich, nur wir Frauen können z.B. Babys kriegen und stillen. Diesen Aspekt möchte ich gerne integrieren und gleichzeitig weiter fassen. Futeranity schliesst für mich ein, dass Mann und Frau dafür geachtet und geschätzt wird, wenn man/frau sich beruflich einschränkt/zurück zieht für seine Kinder. Als Frau, die in Frankreich lebt und oft in Deutschland ist, habe ich für die einen zu viel, für die anderen zu wenig gearbeitet. Von Männern kenne ich auch den sozialen Druck, dass über eine etwas als normaler gesehene Vaterzeit hinaus, es einfach ein No-Go wäre über Teilzeit-Modelle nachzudenken. CB: das kann ich gut nachvollziehen, was Du beschreibst! Wie können wir Kooperation mehr anerkennen und fördern? Auch hier denke ich wieder, dass die Veränderung aus vielen Richtungen kommt. Wir sehen jetzt schon, wie sehr frühere Führungsideale hinterfragt werden – den einsamen Allein-Entscheider, der auf Basis gesicherten Wissens im Sinne seiner Organisation die richtigen Weichen stellt, hat es wohl nie gegeben. Und ich glaube, dass es viele Strömungen sind, die dies offenlegen. Dazu trägt bei, dass wir heute wissen, wie wichtig Emotionen für Entscheidungen sein (und wie unwichtig oft das schiere Wissen), wie sehr sich Rollenbilder geändert haben, wozu zum Beispiel auch die metoo-Debatte beigetragen hat und wie wichtig es ist, auf dem Wissen und den Einschätzungen anderer aufzubauen, wie es zum Beispiel im Design Thinking praktiziert wird. Ich glaube nicht, dass Frauen per se die besseren Menschen sind, aber dass sie durchaus kooperativer sind als Männer. Und das ist etwas, was wir gesellschaftlich viel mehr nutzen sollten. SMN: Auch in der Corona-Zeit ist das eine interessante Überlegung. Es kursieren Artikel in der Presse, die aufzeigen, dass die Länder mit Frauen als Präsidentin/Kanzlerin die besten Weisen haben,mit dem Virus umzugehen. Dann sah ich eine Statista Statistik, die verdeutlicht, dass die Krise vor allem von Frauen in Care Positionen (wie im Krankenhaus oder an der Kasse) getragen werden, die ironischerweise oft am schlechtesten bezahlt und gewertschätzt werden. Jetzt plant das Bundesarbeitsministerium mit dem Bundesgesundheitsministerium für alle systemrelevanten Bereiche, also u.a. das Gesundheitswesen, Logistik wie auch den Lebensmitteleinzelhandel ein befristetes Arbeitszeitgesetz: die maximale tägliche Arbeitszeit wird von zehn auf zwölf Stunden angehoben und – hier kommt ein weiterer Hammer- die vorgeschriebene Ruhezeit von elf auf neun Stunden verkürzt. Menschen, Frauen und Männer, die unsere Gesellschaft in dieser Krise tragen, undsowieso schon an ihrem Limit sind (Stichwort Stress und Immunsystem, das wir auch brauchen, um nicht schwer an Corona zu erkranken), sollen jetzt einfach länger arbeiten und kürzer ruhen. Das können wir als Gesellschaft doch besser, oder?CB: Naja, es zeigt wohl wieder einmal die Kurzfristigkeit unseres Denkens. Im Krisenmodus, wenn es buchstäblich um Leben und Tod geht, mag es sein, dass solche Maßnahmen in der Pflege helfen können, Leben zu retten. Denn es gibt bei uns schlichtweg schon seit Jahren einen Pflegenotstand. Esgab auch vor Corona schon viel zu viel Arbeit für viel zu wenige Menschen – und das liegt natürlich daran, dass die Pflegeberufe – aber auch viele andere – viel zu schlecht bezahlt werden, ungünstige Arbeitszeiten haben und gesellschaftlich zu wenig Anerkennung finden. Hoffen wir, dass unser kollektives Gedächtnis nicht allzu dement ist und wir uns nach Corona noch daran erinnern, was wir den „systemrelevanten“ Berufen verdanken. Oh ja, hoffen und bewegen wir weiter!

nachhaltigeren Produkte nicht teurer sein dürfen als die schädlichen. Das heißt auch, dass es gute Angebote für nachhaltigere Lösungen geben muss – zum Beispiel im Verkehr. Wir sehen ja, dass viele Menschen in Ballungsräumen mit gutem ÖPNV das Auto stehen lassen, oder gar keins mehr haben. Und Nudging (heißt ja eigentlich Anstupsen) kann auch dazu beitragen: warum sind Büro-Drucker nicht zum Beispiel ab Werk so eingestellt, dass sie doppelseitig drucken? Das wäre ein recht einfache Maßnahme, die viel Papier sparen könnte. Es hat sich allerdings gezeigt, dass es wichtig ist, auch ein „opt-out“ zuzulassen, das heißt, es muss möglich sein, eine andere Alternative zu wählen – sonst führt das zu Abwehrreaktionen, weil sich niemand gerne bevormunden lässt. Oder wie siehst Du das, Santa? SMN: Das mit der Werks-Einstellung sehe ich genauso bzw. ganz kurz gesagt: die nachhaltige Variante muss die einfachste, beste und am leichteinfachesten zugänglichste Variante sein, und nicht mit maßgeblichem Mehraufwand verbunden sein. Etwas, was ich persönlich auch wichtig finde, und auch in Deinem Buch immer wieder rauslese, ist, einen gesellschaftlichen Nährboden zu schaffen, der Achtsamkeit, Solidarität, Kollaboration wie auch Wertschätzung…ähem…wertschätzt. Ich denke da z.B. an unser Bildungs-System und eigentlich daran, wie dominante Bereiche unserer Gesellschaft und Kapitalismus per se funktionieren: und zwar über Wettbewerb, harte Fakten bzw. eine Produkt-Orientierung (Erfolg, Geld, Noten usw.). Prozess-Orientierung öffnet für mich den Spassund die Freude an dem Lösen der Aufgabe, als Abenteuer. Wir sprechen hier von intrinsicher vs. extrinsischer Motivation. Es gibt immer mehr Studien dazu, wie Noten, Strafen und Belohnungen nicht nur unseren Spaß killen – es hemmt sogar unsere kreativen Fähigkeiten. Kurzum, das Produkt leidet auch darunter, wenn es uns nur um’s Ziel-Erreichen geht.CB: …. Beispiel mit OECD Studie (, das ich unten erwähnte und dass wir evtl. entfernen könnten – what do you think?)Ich persönlich bin ja wahnsinnig fasziniert davon, wie sich das Kleine im Grossen wieder findet. Ich habe letztens von der Universität Yale einen Kurs zu „Science of Well-Being“ besucht und da gab es einige Studien, die belegten, dass es sich, entgegen gewisser „Intuitionen“ unsererseits, sehr für unser Wohlbefinden lohnt, nett zu Anderen zu sein und gemeinschaftlich zu denken, eigentlich von uns selber heraus daran zu arbeiten, die Barrieren der menschlichen Natur in uns zu reduzieren. CB: Ja, das ist interessant! Aber ich glaube, hier gibt es eine sehr feine, aber wichtige Unterscheidung. Wenn ich nett zu anderen bin, weil ich mir dadurch erhoffe, selbst glücklicher zu sein, dann werde ich damit nur begrenzten Erfolg haben, denn ich kreise letztlich doch wieder nur um mich und die anderen sind mir eigentlich egal. Wenn ich mich aber ständig mit der Frage beschäftige, wie ich glücklich werde, ist das ein sicheres Rezept dafür, genau das nicht zu erreichen. Viele Dinge tun wir (zum Glück immer noch), weil sie einfach richtig sind, weil wir es so gelernt haben. Manche Ökonomen haben uns lange einreden wollen, dass wir alle nur unseren eigenen Vorteil suchen – das hat sich mittlerweile zum Glück als falsch erwiesen. SMN: Darf ich Dir ein klein bißchen und ganz respektvoll widersprechen bzw. ergänzen, lieber Christian? Viele Wege führen nach Rom bzw. es kann sein, dass ich erst einmal, „nur“ um glücklich zusein, netter handle. Wenn ich merke, wie schön es war, die Dankbarkeit im Gesicht der alten Dame zu sehen, der ich über die Strasse half, dann geht das automatisch in mein System über als das, was mir gefällt. Der Anfang ist oft schwer und da finde ich es wichtig, dass wir erst einmal neutral UND empathisch damit umgehen, dass jeder andere Wege der Motivation findet. CB: Da hast Du ganz sicher Recht, liebe Santa, vielen Dank für die Ergänzung! SMN: Es ist doch klar, dass es sich in unserem derzeitigen System schwierig anfühlt, bestimmten weicheren Werten Raum zu geben, weil sie doch von uns oft als Erfolgs-Hemmschuhe gefühlt werden. Ausserdem dürfen wir auch nicht die Macht der „Referenzpunkte“ unterschätzen: wenn es gesellschaftlich als besonders schätzenswert/“erfolgreich“ gilt, nett zu sein, dann richten wir uns auch direkt danach. So wie man früher gar nicht auf die Idee gekommen wäre, Müll auf die Strasse zu werfen, als „extrinsischster“ Grund, damit die Nachbarin von nebenan das nicht sieht.Und daher würde ich liebend gerne mit Dir darüber sprechen, wie wir gesellschaftlichen Barrieren entgegen wirken, also Verhaltens- bzw. Weisen zu Wirtschaften und Systeme zu kreieren, die große Bremsen für Futeranity, das wir in unserem letzten Chat besprachen, darstellen. Welche gesellschaftlichen Barrieren identifizierst du? Und was für Lösungsansätze siehst du hier?CB: Zunächst einmal halte ich es für wichtig sich einzugestehen, dass es überhaupt solche gesellschaftlichen Barrieren gibt. Lange war man der Meinung, dass es ausreichend ist auf das zu hören, was „die Wissenschaft“ uns sagt. Also zum Beispiel, wir die CO2-Emissionen senken müssen, wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen. Aber leider (bzw. zum Glück!) sind Menschen und Gesellschaften nicht so leicht zu steuern wie technische Regelkreise. Wir haben ja gerade darüber gesprochen, dass Einsicht noch lange nicht zum Handeln führt. Wenn wir zum Beispiel eine immer stärkere Polarisierung in der Gesellschaft erleben, in der die einen immer vehementer für Klimaschutz eintreten und die anderen immer offener leugnen, dass es den Klimawandel überhaupt gibt, und vielleicht sogar Populisten an die Macht kommen und Klimaschutzverträge kündigen, dann haben wir nichts erreicht. Populismus ist für mich also eine dieser gesellschaftlichen Barrieren. Wie man den Populismus bekämpft ist ein schwieriges Thema, das sich nicht so einfach zusammenfassen lässt. Wichtig ist aber aus meiner Sicht, dass man sich mit den Fragen der Menschen auseinandersetzt, auf die die Populisten antworten. Eine andere gesellschaftliche Barriere sehe ich in der großen sozialen Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele gesellschaftliche Probleme (wie zum Beispiel Mangel an Vertrauen, Tötungsdelikte oder Übergewicht) sehr eng mit dem Grad der Ungleichheit in einer Gesellschaft zusammenhängen. Interessanterweise sind diese gesellschaftlichen Probleme in armen Ländern, die wenig Ungleichheit aufweisen, viel weniger ausgeprägt als in reichen, aber ungleichen Ländern! Um es mal etwas plakativ zu sagen: um den Klimawandeln zu bekämpfen, müssen wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, um den Zusammenhalt zu stärken, müssen wir die Ungleichheit bekämpfen usw. Wir brauchen also ganzheitliche Ansätze, die den Zusammenhang ganz unterschiedlicher Probleme berücksichtigen. SMN: Warum gibt es solche Ansätze noch nicht, oder viel zu wenig? CB: Das hängt damit zusammen, dass wir in allen gesellschaftlichen Bereichen immer mehr ausdifferenzieren, immer mehr spezialisieren, aber dabei das Ganze aus dem Blick verlieren. Interdisziplinär heißt es heute doch schon, wenn zwei Mediziner aus unterschiedlichen Gebieten miteinander reden – ganz analog gilt das für jedes wissenschaftliche Fach. Dummerweise tun uns unsere globalen Herausforderungen nicht den Gefallen, sich nach den Grenzen unserer Disziplinen zu richten. Deshalb brauchen wir mehr Anreize für integratives, ganzheitliches Denken und Handeln. SMN: Doch wie kommen wir genau dahin, dass ein ganzheitlicher Ansatz zur „Werks-Einstellung“ wird? Für mich geht das ganz stark wie oben besprochen über das Gefühl, oder das Wort, das uns ein wenig verlegen macht: die gute alte Liebe. In deinem Buch sprichst du z.B. über die Liebe zur Natur. Dazu möchte ich mit dir über ein AHA-Erlebnis sprechen, das ich dank deines Buches und meiner Situation des Lockdowns in der bayrischen Natur erfahren habe. Ich sitze also auf einer Bank,einen Kaffee auf dem Tisch (handgemahlen von meiner Tochter) und die Vögel switschern im Hintergrund und ich lese, wie du schreibst: „Da immer mehr Menschen den grössten Teil ihrer Zeit in künstlich geschaffenen Welten leben, ist es eine elementar wichtige Aufgabe, Faszination für die Wunder und die Schönheit der Natur zu kultivieren und zu vermitteln. Wir Menschen werden nur für das sorgen, was wir lieben – und wir werden nur das lieben, was wir auch erfahren und mit positiven Eindrücken verbunden haben.“ In diesem Moment fliegt mir freundlich eine Biene auf den nackten Fuss und auf einmal habe ich so einen Moment, in dem die Theorie auf einmal zur Praxis bzw. in mein Sein übergeht. Ich bin Städter, der die Natur zwar irgendwie schon liebt und doch hatte sie in meinem bisherigen Leben nicht ganz so aktiv Raum, trotz meines Selbst-Bildes. Ja, ich bin Nachhaltigkeit irgendwie von einer anderen Ecke angegangen und gleichzeitig geht es mir schon lange um Liebe, Identifikation, Wertschätzung als wichtige Wege zu Nachhaltigkeit. Und jetzt bringst du das eigentlich Offensichtliche ins Spiel: die Liebe und Identifikation mit der Natur. Doch wie kommen wir, vor allem Städter, dahin? Individuell, von außen nach innen und dann in unser System integriert?CB: Dein Bienenbeispiel verdeutlicht sehr schön, dass es um einen Perspektivwechsel geht. Denn die Welt ist voller Wunder – aber um diese Wunder zu sehen und zu erleben, muss man nicht in ferne Länder und entlegene TerraX-Gegenden reisen und man braucht auch nicht Wissenschaftler zu sein und eine große Ausrüstung zu haben. Natur zu erleben und ihre Wunder zu sehen, kann man auch schon in der nächsten Umgebung, wie Deine Biene zeigt. Und selbst wenn man das Wachsen einer Zimmerpflanze beobachtet, kann man ins Staunen kommen. Wir haben vor zehn Jahren eine Amaryllis geschenkt bekommen, die wunderschön geblüht hat. Am Anfang hätten wir sie fast weggeschmissen, als sich nach der Blüte monatelang nichts tat. Und dann, ganz plötzlich, wuchs eineneue Blüte heraus. Man kann daran sehen, wie wichtig es ist, geduldig zu sein, warten zu können und trotzdem seine Aufgaben zu erledigen – denn ohne Pflege bzw. Wasser wäre die Pflanze vertrocknet. SMN: Geduld ist auch ein so wichtiges Prinzip, vielleicht auch als wunderbares Tandem zu Vertrauen.Apropos „weichere“ Prinzipien: In Kapitel 15 sprichst du auch von Dialogfähigkeit, wechselseitiges Verständnis, Vertrauen und multiple Vorteile. Ja, dass wir Selbstbezogenheit und das „Winner takes it all“-Prinzip hinter uns lassen und gemeinschaftlicher Denken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich deine Zeilen ergriffen, ja, fast so stark wie mit 12, als ich vom „Winde verweht“ las. Du sprichst sogar von einem Lösungsansatz des Forschungsmodell „Globale Nachhaltigkeit“, das wir das Nicht-Wissen, also den Prozess zu Nachhaltigkeit bzw. Futernatity mehr einschliessen, damit spielen.Dann zitierst Du OECD Studien, in den Studenten mit höherem sozio-ökonomischen Status über weniger Empathie verfügen, aber sich selber als empathischer empfinden, dass reiche Menschen weniger sozial handeln als Arme, und dass Frauen bzw. Mädchen sozialer als Jungen/Männer sind bzw. kollaborativer Probelem lösen. Du gehst sogar so weit zu suggerieren, dass du deshalb allein mehr Frauen in Führunspositionen sehen möchtest. Ich möchte hier gar nicht so sehr in eine Feminismus-Debatte gehen, sondern mehr dahin, wie wir diese Fähigkeiten, die wir eher in den Soft Skills sehen, und eher Frauen zuschreiben, aber die es durchaus auch in Männern gibt, als Gesellschaft mehr anerkennen und fördern? Ich weiss, ich hole hier unglaublich aus. Die Frage treibt mich einfach um. Wir Frauen und Männer sind unterschiedlich, nur wir Frauen können z.B. Babys kriegen und stillen. Diesen Aspekt möchte ich gerne integrieren und gleichzeitig weiter fassen. Futeranity schliesst für mich ein, dass Mann und Frau dafür geachtet und geschätzt wird, wenn man/frau sich beruflich einschränkt/zurück zieht für seine Kinder. Als Frau, die in Frankreich lebt und oft in Deutschland ist, habe ich für die einen zu viel, für die anderen zu wenig gearbeitet. Von Männern kenne ich auch den sozialen Druck, dass über eine etwas als normaler gesehene Vaterzeit hinaus, es einfach ein No-Go wäre über Teilzeit-Modelle nachzudenken. CB: das kann ich gut nachvollziehen, was Du beschreibst! Wie können wir Kooperation mehr anerkennen und fördern? Auch hier denke ich wieder, dass die Veränderung aus vielen Richtungen kommt. Wir sehen jetzt schon, wie sehr frühere Führungsideale hinterfragt werden – den einsamen Allein-Entscheider, der auf Basis gesicherten Wissens im Sinne seiner Organisation die richtigen Weichen stellt, hat es wohl nie gegeben. Und ich glaube, dass es viele Strömungen sind, die dies offenlegen. Dazu trägt bei, dass wir heute wissen, wie wichtig Emotionen für Entscheidungen sein (und wie unwichtig oft das schiere Wissen), wie sehr sich Rollenbilder geändert haben, wozu zum Beispiel auch die metoo-Debatte beigetragen hat und wie wichtig es ist, auf dem Wissen und den Einschätzungen anderer aufzubauen, wie es zum Beispiel im Design Thinking praktiziert wird. Ich glaube nicht, dass Frauen per se die besseren Menschen sind, aber dass sie durchaus kooperativer sind als Männer. Und das ist etwas, was wir gesellschaftlich viel mehr nutzen sollten. SMN: Auch in der Corona-Zeit ist das eine interessante Überlegung. Es kursieren Artikel in der Presse, die aufzeigen, dass die Länder mit Frauen als Präsidentin/Kanzlerin die besten Weisen haben,mit dem Virus umzugehen. Dann sah ich eine Statista Statistik, die verdeutlicht, dass die Krise vor allem von Frauen in Care Positionen (wie im Krankenhaus oder an der Kasse) getragen werden, die ironischerweise oft am schlechtesten bezahlt und gewertschätzt werden. Jetzt plant das Bundesarbeitsministerium mit dem Bundesgesundheitsministerium für alle systemrelevanten Bereiche, also u.a. das Gesundheitswesen, Logistik wie auch den Lebensmitteleinzelhandel ein befristetes Arbeitszeitgesetz: die maximale tägliche Arbeitszeit wird von zehn auf zwölf Stunden angehoben und – hier kommt ein weiterer Hammer- die vorgeschriebene Ruhezeit von elf auf neun Stunden verkürzt. Menschen, Frauen und Männer, die unsere Gesellschaft in dieser Krise tragen, undsowieso schon an ihrem Limit sind (Stichwort Stress und Immunsystem, das wir auch brauchen, um nicht schwer an Corona zu erkranken), sollen jetzt einfach länger arbeiten und kürzer ruhen. Das können wir als Gesellschaft doch besser, oder?CB: Naja, es zeigt wohl wieder einmal die Kurzfristigkeit unseres Denkens. Im Krisenmodus, wenn es buchstäblich um Leben und Tod geht, mag es sein, dass solche Maßnahmen in der Pflege helfen können, Leben zu retten. Denn es gibt bei uns schlichtweg schon seit Jahren einen Pflegenotstand. Esgab auch vor Corona schon viel zu viel Arbeit für viel zu wenige Menschen – und das liegt natürlich daran, dass die Pflegeberufe – aber auch viele andere – viel zu schlecht bezahlt werden, ungünstige Arbeitszeiten haben und gesellschaftlich zu wenig Anerkennung finden. Hoffen wir, dass unser kollektives Gedächtnis nicht allzu dement ist und wir uns nach Corona noch daran erinnern, was wir den „systemrelevanten“ Berufen verdanken. Oh ja, hoffen und bewegen wir weiter!

Klimaschutz-Virus (einem positivem Virus, versteht sich), so schwer fällt es doch meinem Geist, das so richtig zu begreifen. Ich schmeiße keinen Müll ins Wasser oder pflücke keinen Enzian, weil man das nicht macht, in dem Wissen, dass wenn das jeder machen würde, wir grosse Probleme hätten. Gleichzeitig nach“fühlen“ kann ich das trotzdem nicht richtig.Bitte erzähl uns auch ein wenig mehr von dem Value-Action Gap aus deinem Buch. Über das Think & Action Gap habe ich mir schon viele Gedanken gemacht, das Wort „Value“ fasziniert mich in diesem Kontext. Gib uns bitte auch gerne ein paar konkrete Beispiele.CB: Wir wissen alle, dass unser Handeln oft nicht von dem bestimmt wird, was wir wissen; nicht einmal von dem, was wir „eigentlich“ für richtig und wertvoll erachten. Auch wenn uns Gesundheit und eine saubere Umwelt grundsätzlich sehr wichtig sind, gibt es oft genug Situationen, in denen wir doch aus Bequemlichkeit lieber das Auto nutzen anstatt das Fahrrad oder die Bahn. Auch wenn wir „eigentlich“ der Ansicht sind, dass eine vegetarische oder vegane Ernährung umweltfreundlicher sind als der Fleischkonsum, schaffen wir es oft nicht, uns auch entsprechend zu verhalten. Das hat viele Gründe – unter anderem liegt es daran, dass wir in unserem Verhalten sehr stark von Gewohnheiten und von Konventionen geprägt sind, aber auch daran, dass die ökologischere Variante oft teurer und unbequemer ist. SMN: Was kann man dagegen tun? Oft hilft ja ein anderer Blick auf die Sache…CB: Was uns auf den ersten Blick unbequemer erscheint, kann auf den zweiten Blick vielleicht ganz neue Perspektiven ermöglichen. Anstatt ein Fertiggericht in die Mikrowelle zu schieben, kann es zum Beispiel auch eine wertvolle Zeitsein, das Essen selbst zuzubereiten, auch wenn es länger dauert. Aber es kann bei der Entschleunigung helfen und zur Wertschätzung des Essens beitragen. Santa, Du hast mal gesagt, dass es Dich sehr bereichert hat und Deine Zufriedenheit gesteigert, ganz bewusst zu versuchen, nachhaltiger zu leben. Siehst Du in der gegenwärtigen Corona-Krise vielleicht auch eine Chance, im persönlichen Leben Dinge neu zu sortieren? SMN: Da wären wir wieder bei dem guten alten Framing bzw. die Perspektive auf die Sache. Diese scheinbar banalen Tätigkeiten wie Kochen oder Laufen helfen unserem Gehirn, bestimmte andere Aktivitäten zu verdauen und zwar genau, weil man ein langsameres Tempo annimmt. Je mehr man diese „simplen“ Aktivitäten obsolet macht, desto mehr nehmen wir uns Räume, um bei uns zu sein. Kochen oder Laufen kann man ganz einfach und effektiv als Momente nehmen, in denen wir einfach nur sind, als unterschätzte Achtsamkeits-Übung oder Meditation. Diese Räume sind auch meines Erachtens unglaublich wichtig, um mehr Resilienz-, Kollaborations- wie auch Empathie-Fähigkeiten zu entwickeln. Wir werden dann nicht so schnell übermannt, wenn etwas mal anders läuft als wir es gewohnt sind oder wünschen. In diesem Raum habe ich auch die besten beruflichen und privaten Ideen, und kann mich auch in dem Prozess besser „verankern“, das zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann, und kreative Lösungen für den Rest zu finden.Das führt mich zu der nächsten Frage: Was würde uns Individuen von „außen“ helfen, damit wir systemisch den Barrieren menschlicher Natur entgegen wirken können?CB: Das ist eine gute Frage! Denn es würde uns auf Dauer überfordern, wenn wir entgegen all der Widerstände uns ständig abverlangten, dass wir „wirklich nachhaltig“ leben wollen! Es braucht deshalb auch institutionelle Unterstützung unseres Verhaltens. Das heißt zum Beispiel, dass die nachhaltigeren Produkte nicht teurer sein dürfen als die schädlichen. Das heißt auch, dass es gute Angebote für nachhaltigere Lösungen geben muss – zum Beispiel im Verkehr. Wir sehen ja, dass viele Menschen in Ballungsräumen mit gutem ÖPNV das Auto stehen lassen, oder gar keins mehr haben. Und Nudging (heißt ja eigentlich Anstupsen) kann auch dazu beitragen: warum sind Büro-Drucker nicht zum Beispiel ab Werk so eingestellt, dass sie doppelseitig drucken? Das wäre ein recht einfache Maßnahme, die viel Papier sparen könnte. Es hat sich allerdings gezeigt, dass es wichtig ist, auch ein „opt-out“ zuzulassen, das heißt, es muss möglich sein, eine andere Alternative zu wählen – sonst führt das zu Abwehrreaktionen, weil sich niemand gerne bevormunden lässt. Oder wie siehst Du das, Santa? SMN: Das mit der Werks-Einstellung sehe ich genauso bzw. ganz kurz gesagt: die nachhaltige Variante muss die einfachste, beste und am leichteinfachesten zugänglichste Variante sein, und nicht mit maßgeblichem Mehraufwand verbunden sein. Etwas, was ich persönlich auch wichtig finde, und auch in Deinem Buch immer wieder rauslese, ist, einen gesellschaftlichen Nährboden zu schaffen, der Achtsamkeit, Solidarität, Kollaboration wie auch Wertschätzung…ähem…wertschätzt. Ich denke da z.B. an unser Bildungs-System und eigentlich daran, wie dominante Bereiche unserer Gesellschaft und Kapitalismus per se funktionieren: und zwar über Wettbewerb, harte Fakten bzw. eine Produkt-Orientierung (Erfolg, Geld, Noten usw.). Prozess-Orientierung öffnet für mich den Spassund die Freude an dem Lösen der Aufgabe, als Abenteuer. Wir sprechen hier von intrinsicher vs. extrinsischer Motivation. Es gibt immer mehr Studien dazu, wie Noten, Strafen und Belohnungen nicht nur unseren Spaß killen – es hemmt sogar unsere kreativen Fähigkeiten. Kurzum, das Produkt leidet auch darunter, wenn es uns nur um’s Ziel-Erreichen geht.CB: …. Beispiel mit OECD Studie (, das ich unten erwähnte und dass wir evtl. entfernen könnten – what do you think?)Ich persönlich bin ja wahnsinnig fasziniert davon, wie sich das Kleine im Grossen wieder findet. Ich habe letztens von der Universität Yale einen Kurs zu „Science of Well-Being“ besucht und da gab es einige Studien, die belegten, dass es sich, entgegen gewisser „Intuitionen“ unsererseits, sehr für unser Wohlbefinden lohnt, nett zu Anderen zu sein und gemeinschaftlich zu denken, eigentlich von uns selber heraus daran zu arbeiten, die Barrieren der menschlichen Natur in uns zu reduzieren. CB: Ja, das ist interessant! Aber ich glaube, hier gibt es eine sehr feine, aber wichtige Unterscheidung. Wenn ich nett zu anderen bin, weil ich mir dadurch erhoffe, selbst glücklicher zu sein, dann werde ich damit nur begrenzten Erfolg haben, denn ich kreise letztlich doch wieder nur um mich und die anderen sind mir eigentlich egal. Wenn ich mich aber ständig mit der Frage beschäftige, wie ich glücklich werde, ist das ein sicheres Rezept dafür, genau das nicht zu erreichen. Viele Dinge tun wir (zum Glück immer noch), weil sie einfach richtig sind, weil wir es so gelernt haben. Manche Ökonomen haben uns lange einreden wollen, dass wir alle nur unseren eigenen Vorteil suchen – das hat sich mittlerweile zum Glück als falsch erwiesen. SMN: Darf ich Dir ein klein bißchen und ganz respektvoll widersprechen bzw. ergänzen, lieber Christian? Viele Wege führen nach Rom bzw. es kann sein, dass ich erst einmal, „nur“ um glücklich zusein, netter handle. Wenn ich merke, wie schön es war, die Dankbarkeit im Gesicht der alten Dame zu sehen, der ich über die Strasse half, dann geht das automatisch in mein System über als das, was mir gefällt. Der Anfang ist oft schwer und da finde ich es wichtig, dass wir erst einmal neutral UND empathisch damit umgehen, dass jeder andere Wege der Motivation findet. CB: Da hast Du ganz sicher Recht, liebe Santa, vielen Dank für die Ergänzung! SMN: Es ist doch klar, dass es sich in unserem derzeitigen System schwierig anfühlt, bestimmten weicheren Werten Raum zu geben, weil sie doch von uns oft als Erfolgs-Hemmschuhe gefühlt werden. Ausserdem dürfen wir auch nicht die Macht der „Referenzpunkte“ unterschätzen: wenn es gesellschaftlich als besonders schätzenswert/“erfolgreich“ gilt, nett zu sein, dann richten wir uns auch direkt danach. So wie man früher gar nicht auf die Idee gekommen wäre, Müll auf die Strasse zu werfen, als „extrinsischster“ Grund, damit die Nachbarin von nebenan das nicht sieht.Und daher würde ich liebend gerne mit Dir darüber sprechen, wie wir gesellschaftlichen Barrieren entgegen wirken, also Verhaltens- bzw. Weisen zu Wirtschaften und Systeme zu kreieren, die große Bremsen für Futeranity, das wir in unserem letzten Chat besprachen, darstellen. Welche gesellschaftlichen Barrieren identifizierst du? Und was für Lösungsansätze siehst du hier?CB: Zunächst einmal halte ich es für wichtig sich einzugestehen, dass es überhaupt solche gesellschaftlichen Barrieren gibt. Lange war man der Meinung, dass es ausreichend ist auf das zu hören, was „die Wissenschaft“ uns sagt. Also zum Beispiel, wir die CO2-Emissionen senken müssen, wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen. Aber leider (bzw. zum Glück!) sind Menschen und Gesellschaften nicht so leicht zu steuern wie technische Regelkreise. Wir haben ja gerade darüber gesprochen, dass Einsicht noch lange nicht zum Handeln führt. Wenn wir zum Beispiel eine immer stärkere Polarisierung in der Gesellschaft erleben, in der die einen immer vehementer für Klimaschutz eintreten und die anderen immer offener leugnen, dass es den Klimawandel überhaupt gibt, und vielleicht sogar Populisten an die Macht kommen und Klimaschutzverträge kündigen, dann haben wir nichts erreicht. Populismus ist für mich also eine dieser gesellschaftlichen Barrieren. Wie man den Populismus bekämpft ist ein schwieriges Thema, das sich nicht so einfach zusammenfassen lässt. Wichtig ist aber aus meiner Sicht, dass man sich mit den Fragen der Menschen auseinandersetzt, auf die die Populisten antworten. Eine andere gesellschaftliche Barriere sehe ich in der großen sozialen Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele gesellschaftliche Probleme (wie zum Beispiel Mangel an Vertrauen, Tötungsdelikte oder Übergewicht) sehr eng mit dem Grad der Ungleichheit in einer Gesellschaft zusammenhängen. Interessanterweise sind diese gesellschaftlichen Probleme in armen Ländern, die wenig Ungleichheit aufweisen, viel weniger ausgeprägt als in reichen, aber ungleichen Ländern! Um es mal etwas plakativ zu sagen: um den Klimawandeln zu bekämpfen, müssen wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, um den Zusammenhalt zu stärken, müssen wir die Ungleichheit bekämpfen usw. Wir brauchen also ganzheitliche Ansätze, die den Zusammenhang ganz unterschiedlicher Probleme berücksichtigen. SMN: Warum gibt es solche Ansätze noch nicht, oder viel zu wenig? CB: Das hängt damit zusammen, dass wir in allen gesellschaftlichen Bereichen immer mehr ausdifferenzieren, immer mehr spezialisieren, aber dabei das Ganze aus dem Blick verlieren. Interdisziplinär heißt es heute doch schon, wenn zwei Mediziner aus unterschiedlichen Gebieten miteinander reden – ganz analog gilt das für jedes wissenschaftliche Fach. Dummerweise tun uns unsere globalen Herausforderungen nicht den Gefallen, sich nach den Grenzen unserer Disziplinen zu richten. Deshalb brauchen wir mehr Anreize für integratives, ganzheitliches Denken und Handeln. SMN: Doch wie kommen wir genau dahin, dass ein ganzheitlicher Ansatz zur „Werks-Einstellung“ wird? Für mich geht das ganz stark wie oben besprochen über das Gefühl, oder das Wort, das uns ein wenig verlegen macht: die gute alte Liebe. In deinem Buch sprichst du z.B. über die Liebe zur Natur. Dazu möchte ich mit dir über ein AHA-Erlebnis sprechen, das ich dank deines Buches und meiner Situation des Lockdowns in der bayrischen Natur erfahren habe. Ich sitze also auf einer Bank,einen Kaffee auf dem Tisch (handgemahlen von meiner Tochter) und die Vögel switschern im Hintergrund und ich lese, wie du schreibst: „Da immer mehr Menschen den grössten Teil ihrer Zeit in künstlich geschaffenen Welten leben, ist es eine elementar wichtige Aufgabe, Faszination für die Wunder und die Schönheit der Natur zu kultivieren und zu vermitteln. Wir Menschen werden nur für das sorgen, was wir lieben – und wir werden nur das lieben, was wir auch erfahren und mit positiven Eindrücken verbunden haben.“ In diesem Moment fliegt mir freundlich eine Biene auf den nackten Fuss und auf einmal habe ich so einen Moment, in dem die Theorie auf einmal zur Praxis bzw. in mein Sein übergeht. Ich bin Städter, der die Natur zwar irgendwie schon liebt und doch hatte sie in meinem bisherigen Leben nicht ganz so aktiv Raum, trotz meines Selbst-Bildes. Ja, ich bin Nachhaltigkeit irgendwie von einer anderen Ecke angegangen und gleichzeitig geht es mir schon lange um Liebe, Identifikation, Wertschätzung als wichtige Wege zu Nachhaltigkeit. Und jetzt bringst du das eigentlich Offensichtliche ins Spiel: die Liebe und Identifikation mit der Natur. Doch wie kommen wir, vor allem Städter, dahin? Individuell, von außen nach innen und dann in unser System integriert?CB: Dein Bienenbeispiel verdeutlicht sehr schön, dass es um einen Perspektivwechsel geht. Denn die Welt ist voller Wunder – aber um diese Wunder zu sehen und zu erleben, muss man nicht in ferne Länder und entlegene TerraX-Gegenden reisen und man braucht auch nicht Wissenschaftler zu sein und eine große Ausrüstung zu haben. Natur zu erleben und ihre Wunder zu sehen, kann man auch schon in der nächsten Umgebung, wie Deine Biene zeigt. Und selbst wenn man das Wachsen einer Zimmerpflanze beobachtet, kann man ins Staunen kommen. Wir haben vor zehn Jahren eine Amaryllis geschenkt bekommen, die wunderschön geblüht hat. Am Anfang hätten wir sie fast weggeschmissen, als sich nach der Blüte monatelang nichts tat. Und dann, ganz plötzlich, wuchs eineneue Blüte heraus. Man kann daran sehen, wie wichtig es ist, geduldig zu sein, warten zu können und trotzdem seine Aufgaben zu erledigen – denn ohne Pflege bzw. Wasser wäre die Pflanze vertrocknet. SMN: Geduld ist auch ein so wichtiges Prinzip, vielleicht auch als wunderbares Tandem zu Vertrauen.Apropos „weichere“ Prinzipien: In Kapitel 15 sprichst du auch von Dialogfähigkeit, wechselseitiges Verständnis, Vertrauen und multiple Vorteile. Ja, dass wir Selbstbezogenheit und das „Winner takes it all“-Prinzip hinter uns lassen und gemeinschaftlicher Denken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich deine Zeilen ergriffen, ja, fast so stark wie mit 12, als ich vom „Winde verweht“ las. Du sprichst sogar von einem Lösungsansatz des Forschungsmodell „Globale Nachhaltigkeit“, das wir das Nicht-Wissen, also den Prozess zu Nachhaltigkeit bzw. Futernatity mehr einschliessen, damit spielen.Dann zitierst Du OECD Studien, in den Studenten mit höherem sozio-ökonomischen Status über weniger Empathie verfügen, aber sich selber als empathischer empfinden, dass reiche Menschen weniger sozial handeln als Arme, und dass Frauen bzw. Mädchen sozialer als Jungen/Männer sind bzw. kollaborativer Probelem lösen. Du gehst sogar so weit zu suggerieren, dass du deshalb allein mehr Frauen in Führunspositionen sehen möchtest. Ich möchte hier gar nicht so sehr in eine Feminismus-Debatte gehen, sondern mehr dahin, wie wir diese Fähigkeiten, die wir eher in den Soft Skills sehen, und eher Frauen zuschreiben, aber die es durchaus auch in Männern gibt, als Gesellschaft mehr anerkennen und fördern? Ich weiss, ich hole hier unglaublich aus. Die Frage treibt mich einfach um. Wir Frauen und Männer sind unterschiedlich, nur wir Frauen können z.B. Babys kriegen und stillen. Diesen Aspekt möchte ich gerne integrieren und gleichzeitig weiter fassen. Futeranity schliesst für mich ein, dass Mann und Frau dafür geachtet und geschätzt wird, wenn man/frau sich beruflich einschränkt/zurück zieht für seine Kinder. Als Frau, die in Frankreich lebt und oft in Deutschland ist, habe ich für die einen zu viel, für die anderen zu wenig gearbeitet. Von Männern kenne ich auch den sozialen Druck, dass über eine etwas als normaler gesehene Vaterzeit hinaus, es einfach ein No-Go wäre über Teilzeit-Modelle nachzudenken. CB: das kann ich gut nachvollziehen, was Du beschreibst! Wie können wir Kooperation mehr anerkennen und fördern? Auch hier denke ich wieder, dass die Veränderung aus vielen Richtungen kommt. Wir sehen jetzt schon, wie sehr frühere Führungsideale hinterfragt werden – den einsamen Allein-Entscheider, der auf Basis gesicherten Wissens im Sinne seiner Organisation die richtigen Weichen stellt, hat es wohl nie gegeben. Und ich glaube, dass es viele Strömungen sind, die dies offenlegen. Dazu trägt bei, dass wir heute wissen, wie wichtig Emotionen für Entscheidungen sein (und wie unwichtig oft das schiere Wissen), wie sehr sich Rollenbilder geändert haben, wozu zum Beispiel auch die metoo-Debatte beigetragen hat und wie wichtig es ist, auf dem Wissen und den Einschätzungen anderer aufzubauen, wie es zum Beispiel im Design Thinking praktiziert wird. Ich glaube nicht, dass Frauen per se die besseren Menschen sind, aber dass sie durchaus kooperativer sind als Männer. Und das ist etwas, was wir gesellschaftlich viel mehr nutzen sollten. SMN: Auch in der Corona-Zeit ist das eine interessante Überlegung. Es kursieren Artikel in der Presse, die aufzeigen, dass die Länder mit Frauen als Präsidentin/Kanzlerin die besten Weisen haben,mit dem Virus umzugehen. Dann sah ich eine Statista Statistik, die verdeutlicht, dass die Krise vor allem von Frauen in Care Positionen (wie im Krankenhaus oder an der Kasse) getragen werden, die ironischerweise oft am schlechtesten bezahlt und gewertschätzt werden. Jetzt plant das Bundesarbeitsministerium mit dem Bundesgesundheitsministerium für alle systemrelevanten Bereiche, also u.a. das Gesundheitswesen, Logistik wie auch den Lebensmitteleinzelhandel ein befristetes Arbeitszeitgesetz: die maximale tägliche Arbeitszeit wird von zehn auf zwölf Stunden angehoben und – hier kommt ein weiterer Hammer- die vorgeschriebene Ruhezeit von elf auf neun Stunden verkürzt. Menschen, Frauen und Männer, die unsere Gesellschaft in dieser Krise tragen, undsowieso schon an ihrem Limit sind (Stichwort Stress und Immunsystem, das wir auch brauchen, um nicht schwer an Corona zu erkranken), sollen jetzt einfach länger arbeiten und kürzer ruhen. Das können wir als Gesellschaft doch besser, oder?CB: Naja, es zeigt wohl wieder einmal die Kurzfristigkeit unseres Denkens. Im Krisenmodus, wenn es buchstäblich um Leben und Tod geht, mag es sein, dass solche Maßnahmen in der Pflege helfen können, Leben zu retten. Denn es gibt bei uns schlichtweg schon seit Jahren einen Pflegenotstand. Esgab auch vor Corona schon viel zu viel Arbeit für viel zu wenige Menschen – und das liegt natürlich daran, dass die Pflegeberufe – aber auch viele andere – viel zu schlecht bezahlt werden, ungünstige Arbeitszeiten haben und gesellschaftlich zu wenig Anerkennung finden. Hoffen wir, dass unser kollektives Gedächtnis nicht allzu dement ist und wir uns nach Corona noch daran erinnern, was wir den „systemrelevanten“ Berufen verdanken. Oh ja, hoffen und bewegen wir weiter!


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert