Ein Blick ins Familienalbum – wir sehen uns auf der Straße. Klimastreik, 20.09.2019


Unsere Autorin, Laura Haverkamp, schreibt warum wir heute Bilder schaffen müssen, auf die unsere Kinder gern zurückschauen werden – und am Freitag, 20.9. #allefuersklima auf die Straße gehen sollten.

Vielleicht kennt ihr das – wenn am Wochenende etwas Zeit bleibt, dann schmökere ich gern in alten Sachen. Letzten Sonntag stieß ich auf ein Album mit Bildern meines Lebens, das mein Vater mir zum 18. Geburtstag geschenkt hat – so schön (danke, Papa!). Bei vielen Bildern mussten wir schmunzeln, bei anderen erkannten wir unsere Kinder wieder, bei einigen waren wir verblüfft: Spiele ich da wirklich neben dem Aschenbecher mit dem Tabakstopfer, 1986? Steht da wirklich eine Dose Cola vor jedem Kind, mit Plastikbecher vor Gummibärchentorte mit Sahne und Schokoküssen, 1990?

Ja, genau so war das. Meine Eltern rauchten, beide. Zucker war ein alltägliches Highlight. Einweg-Plastikgeschirr auch.

Da wurde mir klar: So oft ist uns nicht bewusst, durch welchen Wandel wir ganz natürlich hindurch leben. Um uns herum verändert sich das Leben und wir verändern uns mit. Und dann schauen wir auf alte Bilder und wundern uns, dass es so etwas hat geben können. Die Einsicht hat mich nachdenklich gemacht: Auf was werden wir in 20, 30 Jahren zurück schauen und mit Unverständnis reagieren?

Sprung ins Jetzt: Gut 97% der zum Thema veröffentlichenden Wissenschaftler*innen sind sich einig, dass der Mensch Hauptursache eines Klimawandels ist, dessen Folgen wir schon heute mannigfaltig spüren. Wir wissen auch um die planetaren Grenzen unsere Erde – ja, es gibt nur diese eine bewohnbare – und wir überbelasten sie schon heute. Viele von uns wissen auch um die Schritte, die individuell getan werden können, um eine kinder- und enkeltaugliche Zukunft zu gestalten. Wenige von uns gehen sie. Oder setzen sich dafür ein, dass kollektiv etwas passiert.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe keine Lust in einer Zukunft zu landen, in der wir ohne individuelles und kollektives handeln aller Voraussicht nach landen werden. Bilder von extremem Wetter, von kaputten Landschaften, von Artensterben, von Mitmenschen, die vor Dürren fliehen und die sozialen Auswirkungen von all diesen Dingen – diese Bilder gefallen mir nicht. Ich möchte nicht von meinen Kindern gefragt werden, warum ich nicht früher etwas getan habe.

Erschwerend kommt hinzu: Vielleicht haben wir keine 20, 30 Jahre mehr Zeit, um den gesellschaftlichen Wandel hin zu nachhaltiger Entwicklung – das meint Entfaltungschancen für alle Menschen bei gleichzeitiger Wahrung der planetaren Grenzen – so evolutionär geschehen zu lassen, wie wir uns das Rauchen im öffentlichen Raum abgewöhnt haben. Es wird Zeit, dass wir heute schon Bilder schaffen, auf die unsere Kinder aus einer lebenswerten Zukunft heraus einmal gern zurück schauen werden.

Sprung nach 2030, am Familientisch, über dem Fotobuch (oder am Beamer?):

  1. 20. September 2019: „Schau mal, da waren wir bei der #allefuersklima Demo dabei, Mama und ich. Wir waren ja nicht so die Demotypen. Aber damals wehte ein Wind der Veränderung durch die ganze Fridays for Future-Bewegung – der hat uns auch gepackt. Haben durchgesetzt, dass wir auf Arbeit streiken konnten. Und die Kolleg*innen gleich mitgenommen. Das war ein Gänsehauttag.“
  2. Weihnachten 2019: „Wisst ihr noch – da haben wir uns geschenkt, als Familie der Welt nicht länger zur Last zu fallen. Erstmal unseren Ressourcenverbrauch ausgerechnet (www.ressourcen-rechner.de, https://uba.co2-rechner.de/de_DE/) und dann viele einfache Schritt für das neue Jahr vereinbart: Ökostrom bekommen, Konten umgezogen, Versicherungen und Anlagen geprüft und auf nachhaltige Alternativen umgestiegen, Nahrungs– und Konsumverhalten reflektiert und angepasst. Was noch übrig blieb vom Fußabdruck haben wir ausgeglichen durch unsere Unterstützung von Initiativen, die sich für nachhaltige Entwicklung einsetzen. Als gemeinsame Aktion hat das richtig Spaß gemacht – und sich toll angefühlt.“
  3. Sommer 2020: „Wir hatten ja erstmal keine Ahnung, aber bei der Recherche wurde schnell klar – auch Urlaub kann man nachhaltig ausrichten. Das hat sich richtig gut angefühlt. Mit dem Zug los. Europa kennenlernen. Und auch die Unterkünfte haben wir nach nachhaltigen Kriterien ausgesucht.“
  4. Herbst 2020: „Schau mal, Mama vor der Betriebskantine!“ – „Ja, das war auch klasse: Wir haben durchgesetzt, dass Beschaffung und Verwertung in der Kantine nachhaltig umgestellt wurden, für 500 Leute. Ich hab’s angestoßen und gemerkt: man kann richtig was bewegen.“

Die Liste könnte so weitergehen, ihr erkennt die Idee. Von einigen Dingen wird man vielleicht auch keine Fotos haben, aber mitgestalten kann man sie trotzdem: Bei gewählten Politiker*innen nachhaken, wie sie es halten mit der nachhaltigen Entwicklung. Die Forderungen z.B. von Parents for Future teilen und sich für sie einsetzen. Bis hin zu: Den eigenen Job und seine gesellschaftliche Wirkung überdenken, denn auch die eigene Arbeitszeit ist ein unheimlich großer Hebel.

Lasst uns loslegen. Eine lebenswerte Zukunft werden wir nicht gestalten, in dem wir am Status Quo festhalten und andere für zuständig erklären. Die gute Nachricht ist: Wir können, Du kannst Bilder schaffen, auf die unsere Kinder und Enkel gern zurück schauen werden. Und damit eine Zukunft, in der wir alle gern leben (würden). Die große Chance: Stellt euch vor, uns gelingt das. Wie gut es sich anfühlen wird, sagen zu können: Ich war dabei, ich habe eine lebenswerte Zukunft mitgestaltet.

 

Weitere Infos und jede Menge Interaktion findet ihr auf unserer Facebookseite “Finding Sustainia“ und bei Twitter unter @Finding_S.

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Laura Haverkamp, 35, studierte Publizistik, Mandarin und Public Policy in Berlin, bevor sie 2011 nach vier Jahren in der PR-Beratung beim globalen Netzwerk Ashoka – Innovators for the Public einstieg. Dort scoutet und begleitet sie Social Entrepreneurs und setzt sich im Team dafür ein, dass soziale Innovationen in Deutschland bessere Bedingungen für ihre gesellschaftliche Verankerung – ihr Wirkungswachstum – erhalten. Sie ist Mitglied des Think Tank 30 der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Zuletzt veröffentlichte sie zum Thema „New Work? New Sinn!“ auf tbd.community