Neue Gewohnheiten erforderlich: „The power of pre-commitments“


Wir gehen alle gemeinsam durch die Krise – als Gesamtgesellschaft. Und doch erlebt jeder sie individuell anders – wir alle haben unsere ganz persönlichen Baustellen. Sehr, sehr vieles ist anders als noch vor zwei Wochen. Irgendwie haben wir das Gefühl, uns ein wenig neu erfinden zu müssen. Unseren Alltag neu gestalten zu müssen. Auf unbestimmte Zeit.

Was uns helfen kann, sind gute und gesunde neue Gewohnheiten. Ob ganz praktisch, oder auch in der Art wie wir Dinge betrachten, über das Leben nachdenken oder unseren Mitmenschen begegnen. Beispiele sind: Ich trinke ab jetzt jeden Morgen einen Green Smoothie oder ich stelle mir bei Sorgen auch immer das „Gegenszenario“ vor (es könnte doch auch alles viel besser kommen).

Kann man machen. Gute Vorsätze für neue Gewohnheiten haben. Der erste Schritt ist damit jedenfalls schon geschafft. Aber dann?

Auf längere Sicht fällt es uns allen schwer, nachhaltig am Ball zu bleiben. Wie schaffen wir es also, uns nicht wieder ablenken zu lassen und in alte Muster zu verfallen? Und wieso ist das eigentlich so, dass uns alte Muster magisch anziehen?

Corona als eine gute Zeit für Veränderungen. Neue Gewohnheiten.

Anna und Vivica haben sich ein wenig umgeschaut und sind auf das Buch „indistractable – How to Control your attention and choose your life“ von Nir Eyal gestoßen.

Er beschreibt Beispiele, durch die wir von unserem eigentlichen Tun abgelenkt werden und nennt wichtige Strategien, die uns dabei helfen, nicht von einem gewählten Vorhaben, Ziel oder Pfad abzuweichen. Dies macht er insbesondere in seinem Kapitel „The power of pre-commitments“.
Viele berühmte Persönlichkeiten, so etwa Quentin Tarantino oder die Pulitzer-Preisträgerin Jhumpa Lahiri, kennen das Phänomen, dass wir uns allzu leicht von unseren Zielen ablenken lassen, nur zu gut – so Eyal. Entscheidend dabei ist, dass sie Wege gefunden haben, effektiv damit umzugehen. Jhumpa Lahiri etwa verfasst ihre Bücher immer zunächst mit der Hand, um ihre Aufzeichnungen später erst in ihren Laptop ohne Internetzugang zu übertragen. So schafft sie es, in kreativen Phasen am Ball zu bleiben – ohne Ablenkung. Neben externen Faktoren, wie dem Internet oder allgemein der Mediennutzung, spielen jedoch gerade auch intrinsische Faktoren eine große Rolle bei der Frage: „Bleibe ich dran, oder lasse ich mich ablenken?“. Auch unsere Mitmenschen können uns wunderbar mitziehen, in die eine oder andere Richtung. Sie können für Zerstreuung sorgen oder uns helfen, ungewollten Ablenkungen keinen übermäßigen Raum zu geben. Unter intrinsischer Motivation versteht man jene Motivation, die in der Freude an einer Tätigkeit, Aufgabe oder einem Vorhaben besteht. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass man sie als bedeutsam und sinnhaftig wahrnimmt oder sie einem Freiraum bei Entscheidungen lässt. Als eine, wie wir finden, besonders gute Strategie, um indistractable zu werden, nennt Nir Eyal eine Technik, die er als „pre-commitment“, also als eine Art Vor-Festlegung, bezeichnet.

Die ursprüngliche Theorie von pre-commitments geht auf den Ökonomie-Nobelpreisträger Thomas Schelling zurück. Er hat sie als eine Art Selbstmanagement bezeichnet, die augenscheinlich ein Weg zum Glück ist.

Das klassische Beispiel aus Nir Eyals Buch, das uns zur Illustration dienen kann, ist Homers Odyssee und ihr antiker Held Odysseus. Während seiner Irrfahrt drohte er – wie viele andere auch – den verführerischen Gesängen der Sirenen zu verfallen, die in der griechischen Mythologie als Mischwesen aus Frau und Vogel dargestellt werden und vorbeifahrende Seefahrer durch ihren Gesang anlockten, um sie anschließend zu töten. Vorab gewarnt wusste er jedoch von der Absicht jener Wesen und befahl seinen Gefährten, ihn an einen Schiffsmast zu binden, während er ihnen selbst Wachs für die Ohren gab, um die betörenden Gesänge der Sirenen nicht hören zu können. So konnten der Kapitän und die restlichen Seemänner unbeschadet weiter segeln trotz Odysseus´ Flehen, zu den Sirenen an das Ufer zu gelangen.

In Homers Odyssee widersteht Odysseus den Sirenen aufgrund seines sogenannten pre-commitments. Es ist eine Strategie, die als eine frei gewählte Entscheidung verstanden wird, deren Intention es ist, uns selber an die Zukunft zu binden.
Eine solche Technik kennen wir aus vielen Bereichen unseres Lebens. Zum Beispiel setzen wir Ärzte und Familienmitglieder in Kenntnis davon, was unser Wunsch wäre für den Fall, dass wir keine (rationalen) Entscheidungen in Krankheitsfällen mehr treffen können. Wir planen finanziell im Voraus für ein gesichertes Einkommen im Alter.
Solche pre-commitments sind deshalb so kraftvoll, weil sie unsere Absichten zementieren, die wir in Phasen klaren Verstandes haben und uns weniger anfällig dafür machen, später gegen unsere Interessen zu handeln.

Auch in der aktuellen Debatte rund um klimatische Veränderungen und einhergehende soziale Themen sind es pre-commitments, mit denen sich die Politik an die Zukunft bindet. Es wurden Ziele definiert und Zukunfts-Visionen aufgebaut, die helfen, langfristig zu denken.
Und auch in unserem Alltag können uns solche Visionen positiv in eine Richtung hin zu einem nachhaltigeren Selbst lenken, indem wir uns selber aus der Zukunft heraus steuern – kraftvoll, nachhaltig und ohne abgelenkt zu werden. Wir können beginnen mit der Frage, wie ich mich und mein Leben im Moment empfinde und welche Vision ich von mir für die Zukunft habe. Wir können uns damit stimulieren, im Geiste Zukunftsbilder zu malen, die uns als Leitbilder dienen. Natürlich können wir auch die Zeit des Daheimbleibens nutzen, um solche Bilder tatsächlich zu malen. Auch Collagen sind eine gute Möglichkeit, um Zukunftsbilder zu gestalten. Oder Texte.

Alles wirkt, solange Ihr es mit klarem Verstand tut. Und sobald Euch in einem schwachen Moment Zweifel plagen oder es gemütlicher wäre, anders zu handeln, kramt gedanklich diese wunderschönen Bilder hervor.

Noch ein Tipp: Sprecht mit jemandem über Eure Ziele und macht Euch diese Person zum „Accountability Partner“. Ein wohlgemeintes Nachfragen nach ein paar Tagen, Wochen, etc… kann Wunder wirken.

Seid Ihr bereit, Euren inneren Schweinehund zu besiegen und indistractable zu werden? Dann wünschen wir Euch in diesem Sinne viele inspirierende Gedanken und eine anregende Lektüre auf dem Weg in Richtung Sustainia.

Alles Liebe!

Vivica und Anna

Anna, Politologin, MBA Renewables und tt30-Mitglied, beschäftigt sich schon lange mit nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern. Beruflich, journalistisch, kreativ. Auf einem Podium fühlt sie sich genauso wohl wie hinter der Kamera. Gebt ihr einen Gedanken und sie spinnt ihn für Euch weiter. Oder sie wirft neue Fragen auf. Oh, oh…

Vivica studierte Philosophie und katholische Theologie. Die Frage nach einer guten Lebensführung und dem Menschsein per se sind dabei zentrale Themen, die sie beschäftigten. Da wir aufgrund von anhaltenden Ungleichgewichten und einem stark voranschreitenden Klimawandel eben nicht in der besten aller möglichen Welten leben, reifte in ihr der Wunsch, sich stärker für eine Veränderung der aktuellen Verhältnisse einzusetzen. Mit Nachhaltigkeit verbindet sie vor allem ein stärkeres Bewusstsein für die Konsequenzen des eigenen Handelns und eine daraus resultierende Lebenshaltung.

Weitere Infos und jede Menge Interaktion findet ihr auf unserer Facebookseite “Finding Sustainia“ und bei Twitter unter @Finding_S.
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