Wie lange, wie oft und warum überhaupt stillen? – Interview mit Stillberaterin J. Afgan


Heute haben wir ein Interview mit einer Stillexpertin für euch!
Frau Afgan ist Stillberaterin und ist Vorsitzende der international gemeinnützigen Fachorganisation La Leche Liga . Wie sie dazu kam, welche Aufgaben die La Leche Liga hat und, viel wichtiger, welche Tipps sie uns zum stillen gibt, erfahrt ihr hier. Los geht’s. Ihr dürft gespannt sein.

LLL

 

Liebe Frau Afgan, vielen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben, uns ein Interview zu geben.

Ein paar Worte zu Ihrer Person: Würden Sie uns ein wenig von sich erzählen und warum Sie sich für La Leche Liga einsetzen?

Ich bin Mutter von zwei erwachsenen Kindern, 19 und 21 Jahre alt, und lebe in Saarbrücken. Ich lernte La Leche Liga (LLL) während der Stillzeiten meiner Kinder kennen. Durch die regelmäßigen Stillgruppenbesuche fand ich Unterstützung und Austausch. Diese Hilfe von Mutter zu Mutter war mir eine so wertvolle Erfahrung, dass ich mich gerne aktiv in den Verein einbringen wollte. Ich ließ mich zur LLL-Stillberaterin ausbilden und bin nun seit 17 Jahren ehrenamtlich im Verein tätig. Nach wie vor macht mir diese Aufgabe große Freude.

 

Was ist La Leche Liga genau? Was sind ihre Aufgaben und Grundsätze?

La Leche League ist eine internationale, gemeinnützige Fachorganisation, die politisch und konfessionell unabhängig tätig ist. Wir bieten allen Frauen mit Stillwunsch emotionale Unterstützung und fachliche Hilfe an. LLL Deutschland e.V. ist Teil von La Leche League International und seit 1976 als eingetragener Verein in regionalen Stillgruppen organisiert.
Unsere Stillgruppen sind offene Treffen, die einmal monatlich stattfinden. Die Mütter können sich dort mit uns Beraterinnen in einer entspannten Atmosphäre zusammensetzen und sich über Fragen rund um das Stillen und Muttersein austauschen. Auch außerhalb der Stilltreffen sind wir erreichbar und helfen gerne per Telefon und E-Mail weiter.
Über die Beratung hinaus bieten wir Publikationen an, nehmen an Messen und Veranstaltungen teil und vernetzen uns mit anderen stillfördernden Organisationen.

Jede LLL-Beraterin ist selbst Mutter und hat gestillt. Sie kann sich daher gut in die Sorgen anderer Mütter einfühlen, kann sie ermutigen und informieren. Alle Beraterinnen sind ausschließlich ehrenamtlich und von zu Hause aus tätig. Wir finanzieren unsere Arbeit über Spenden und Mitgliedschaften.

Die Arbeit von LLL beruht auf einer Philosophie, die alle LLL-Beraterinnen weltweit verbindet: Wir legen besonderen Wert darauf, Familien individuell zu begleiten. Alle Eltern sind selbst die besten Experten für ihr eigenes Kind. Wichtig ist es uns, dass die Mütter eigene, gut informierte Entscheidungen treffen können, die für sie selbst und ihr Kind stimmig sind.

 

Brust vs. Fläschchen: Auf den Verpackungen gängiger Flaschen-Nahrung steht, dass diese die Muttermilch optimal nachahmt – kann das stimmen? Was sind die gesundheitlichen Vorzüge für mein gestilltes Baby? Und was sind Ihrer Meinung nach die psychologischen Vorzüge?

Muttermilch bietet aus ernährungsphysiologischer Sicht einen optimalen Start ins Leben. Sie passt sich genau dem sich verändernden Bedarf des Kindes an. Sie enthält alles, was es für sein Wachstum braucht und ist zudem sehr gut verdaulich. Säuglingsnahrung ist der Muttermilch so weit wie möglich angepasst. Wenn eine Mutter nicht oder nicht voll stillen kann oder möchte, dann ist die Säuglingsnahrung ein guter Ersatz, um ihr Baby zu versorgen. Eine Säuglingsnahrung ist aber niemals ein gleichwertiger Ersatz für die Muttermilch. So enthält Muttermilch körpereigene Abwehrstoffe, die das Immunsystem stärken. Ein nicht gestilltes Baby hat ein höheres Risiko, an Infektionen der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes oder Mittelohrentzündungen zu erkranken. Auch langfristig finden sich präventive Effekte des Stillens wie z.B. ein reduziertes Risiko, als Erwachsener an Diabetes, Herzkrankheiten oder Übergewicht zu leiden.
Das Saugen an der Brust fördert zudem die natürliche und gesunde Ausbildung des Mundraumes: Durch das Stillen stärkt das Baby seine Mund-Kiefer und Lippenmuskulatur, womit ein wichtiger Baustein für die Sprachentwicklung gelegt wird. Ein Saugen an Flaschensauger und Schnuller erhöht das Risiko für Zahnfehlstellungen.

Nun fragen Sie noch nach psychologischen Auswirkungen. Durch das Stillen verbringen Mutter und Kind sehr viele gemeinsame Beziehungseinheiten. Sie haben engen Körperkontakt, schauen sich in die Augen, hören, spüren und riechen sich gegenseitig. Neben der Ernährung bedeutet Stillen auch Trost und Zuwendung. Das Kind erlebt die Mutter als sicheren Hafen. An ihrer Brust kann es auftanken und sich im Trubel des Alltages entspannen. Heute weiß man, dass ein schnelles und einfühlsames Reagieren auf die Bedürfnisse des Babys eine wichtige Grundlage für den Bindungsaufbau darstellt. Mit dem Stillen hat die Mutter daher eine ganz natürliche Möglichkeit, direkt auf die Bedürfnisse ihres Babys einzugehen. Stillen ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten. Selbstverständlich kann eine Mutter, die ihr Kind mit der Flasche ernährt, dieselbe Liebe und Zuwendung schenken und eine wunderbare Beziehung aufbauen. Körperkontakt und liebevolle Aufmerksamkeit sind nicht vom Stillen abhängig.

 

Wie stillt man am besten? Die einen sagen, man solle es alle zwei Stunden, die Anderen alle drei Stunden tun, dann wiederum sieht man auch Babys, die fast immer an der Brust sind oder Kleinkinder, die ständig nach der Brust fragen? Was ist die optimale Frequenz?

Stillabstände sind etwas ganz Individuelles. Keiner von uns Erwachsenen weiß, um welche Uhrzeit er heute oder morgen wieviel Hunger oder wieviel Durst haben wird. Genauso wenig, wie wir Erwachsenen unser Hunger-und Durstgefühl vorplanen können, genauso wenig lässt es sich für Babys vorplanen. Je nach Entwicklungsschub, Tagesform und Bedarf verändern sich Stillabstände immer wieder. Das Einfachste ist es daher, wenn jede Mutter individuell auf das Bedürfnis ihres eigenen Kindes schaut und auf dessen Signale achtet. Solange das Kind sich gut entwickelt und solange es für die Mutter stimmig ist, können die beiden über die gesamte Stillzeit hinweg so oft und so lange stillen, wie sie wollen. Ganz ohne auf die Uhr zu schauen.

Stimmt es, dass es gewisse Pausen zwischen Stillbeginn und nächstem Stillen geben sollte, um Bauchschmerzen beim Baby zu vermeiden?

Nein. Die Idee, dass frische auf anverdaute Milch Bauchschmerzen verursachen könnte, ist veraltet und wissenschaftlich nicht haltbar. Beim Stillen ist kein zeitlicher Mindestabstand nötig. Genauso, wie wir Erwachsenen nach dem Essen noch einen Nachspeise essen können, können auch Babys jederzeit einen Muttermilchnachschlag trinken. Übrigens hat Muttermilch etwa eine halbe Stunde nach dem Stillen einen besonders hohen Fettgehalt. Es ist daher sehr klug von unseren Babys, wenn sie in kurzen Abständen trinken wollen. Ein Stillen nach Bedarf sichert, dass das Baby immer ausreichend mit Nahrung versorgt ist.

Wie setze ich am besten Grenzen, wenn ich zwar mein Kleinkind weiterstillen möchte, aber nur zu bestimmten Zeiten?

Für Kleinkinder sind rechtzeitige Ankündigungen wichtig. Es ist schwierig für Kleinkinder, unsere Erwartungen zu erfüllen, wenn wir diese erst im Stressmoment äußern. Hilfreich ist es, daher, dem Kind zu einer entspannten Tageszeit zu erklären, dass es ab jetzt nur noch zu bestimmten Zeiten stillen kann. Erklären Sie dem Kind, was Sie beide stattdessen machen werden: Z.B. ein Bilderbuch anschauen, miteinander kuscheln, oder einen Apfel schneiden und essen. So kann das Kind besser einordnen, was die Erwachsenen erwarten. Geduld, Sicherheit und liebevolle, klare Botschaften helfen dem Kind, mit Veränderungen umzugehen.

 

20130719_110304 (1)

Wie finde ich einen optimalen Rhythmus für mich und mein Baby?

Schauen Sie nach den Signalen des Kindes. Ein Baby zeigt durch suchende Kopfbewegungen, ein Lecken der Lippen und schmatzende Geräusche an, dass es stillen möchte. Stillen nach Bedarf bedeutet auch nach Bedarf der Mutter. Fühlt sich die Brust sehr voll an, ist sie prall und schmerzt, dann hat die Mutter einen Stillbedarf und kann ihr Kind anlegen-ganz ohne auf die Uhr zu schauen. Ein fester Rhythmus ist nicht nötig. Auch wir Erwachsenen essen und trinken nicht im festen Rhythmus. Mal sind wir ein Stück gerannt und müssen daher schnell etwas trinken; mal haben wir Hunger auf ein Stück Obst und greifen zu; mal haben wir einfach Lust auf ein Eis und genießen es.

 

Das klingt wirklich sehr gut und entspannt. Vielen Dank! Und wie ernähre ich mich am besten, wenn ich stille? Worauf muss ich achten? Was sollte ich vermeiden und was besonders viel essen?

Eine ganz normal gesunde und ausgewogene Ernährung reicht völlig aus. Der Mehrbedarf durch das Stillen liegt bei etwa 200 bis 500kcal. Das entspricht z.B. einem Käsebrot und einem Müsli am Tag zusätzlich. Eine stillende Mutter kann alles essen, worauf sie Lust hat und was ihr gut schmeckt. Sie muss auf nichts Besonderes achten. Die Milchbildung wird über das Anlegen, das korrekte Saugen des Kindes und das Hormonsystem reguliert – nicht über Nahrungsmittel.
Manchmal gibt es im Babyalltag stressige Tage, an denen man nicht zum Essen kommt oder nur Schokolade futtert. Solche Tage sind nicht tragisch. Eine gut etablierte Milchbildung bleibt trotzdem auf dem gleichen Stand.
Es ist übrigens auch nicht nötig, bestimmte Getränke zu sich zu nehmen. Eine stillende Mutter kann trinken, worauf sie Lust hat, und bestimmt die Trinkmenge nach Durstgefühl. Vorsicht natürlich mit Alkohol, dieser geht in die Muttermilch über. Alkohol am besten ganz meiden, oder erst dann ab und an ein Glas trinken, wenn sichergestellt ist, dass das Baby schon einige Stunden ohne Stillen auskommt.

 

Sollte ich Nahrungsergänzungsmittel wie Omega 3-6-9, Eisen und Folsäure zu mir nehmen oder kann ich mich auch über meine Ernährung gut mit diesen Stoffen versorgen?
Einen eventuellen Mehrbedarf sollte jede Frau individuell mit ihrem Arzt besprechen.

 

Worauf müssen vegane oder vegetarische Mütter achten?
Mit einer vegetarischen Ernährung kann eine informierte Mutter in der Regel eine gute Nährstoffversorgung sicherstellen. Veganerinnen sollten ihre Ernährung sorgfältig planen, um Defizite in der eigenen und der Versorgung des Kindes zu vermeiden. Eine kompetente Beratung sowie Supplementierung sind sinnvoll.

 

Mutterfreuden: Es wird immer von den Vorzügen für die Gesundheit und über seelischen Vorzüge des Stillens für mein Baby gesprochen – was sind die Vorzüge für die stillende Mutter? Wir bei FindingSustainia legen neben öko-sozialer Nachhaltigkeit großen Wert auf „innere Nachhaltigkeit“ (Wohlbefinden, Gleichgewicht…). Nachdem man natürlich durch die Entscheidung zu stillen, Ressourcen – und auch Geld – für die Produktion und Entsorgen von Flaschen-Milch, Flaschen und Verpackung spart, würden wir uns riesig über Informationen über die Still-Vorzüge für die innere Nachhaltigkeit freuen.
Hat eine Stillbeziehung wirklich Folgen für die zukünftige Mutter-Kind oder sogar auch für Gesellschaft&Kind – Beziehungen? Gibt es dazu Studien?

Ich freue mich besonders über diese Frage. Die präventiven Effekte des Stillens für die Entwicklung des Kindes sind inzwischen sehr bekannt. Weniger bekannt sind die Effekte des Stillens für die Gesundheit der Mutter. Stillen unterstützt die Rückentwicklung der Gebärmutter und hilft beim Verlieren der Schwangerschaftspfunde. Langfristig wirkt es sich positiv auf den Stoffwechsel der Mutter aus: Frauen, die gestillt haben, haben nach der Menopause ein geringeres Risiko für Bluthochdruck, Diabetes und Herzerkrankungen. Dieser Effekt ist umso deutlicher, je länger eine Frau gestillt hat. Interessante Zahlen gibt es auch bezüglich Krebserkrankungen: Jedes Jahr Stillen senkt das Risiko für eine Brustkrebserkrankung um 4,3%; 24 Monate Gesamtstilldauer senken das Risiko sogar um 54%. Ein Jahr Stilldauer senkt das Risiko, an Gebärmutterkrebs zu erkranken, um 25%. Und für Eierstockkrebs sinkt das Risiko pro Stillmonat um 1%.
Frauen, die länger als 8 Monate stillen, haben im Alter eine höhere Knochendichte und damit ein reduziertes Risiko für Osteoporose. Präventive Effekte zeigen sich auch in Bezug auf Arthritis, Migräne, verringerten Insulinbedarf bei manifestem Diabetes sowie Übergewicht.

Soweit zu den gesundheitlichen Fakten. Wie sieht es mit den emotionalen Faktoren aus?
Das Stillen kann einer Frau dabei helfen, sich auf ihre neue Rolle als Mutter einzulassen. Durch das Stillen schüttet sie vermehrt Oxytocin aus. Dieses Hormon spielt immer dann eine Rolle, wenn wir Bindungen aufbauen, z.B. wenn wir uns verlieben. Oxytocin führt zu einer Beruhigung und dem Abbau von Ängsten. So unterstützt die Natur die Mutter darin, sich emotional auf ihr Baby einzulassen. Es entsteht eine Wechselwirkung: Kann die Mutter einfühlsam auf ihr Baby eingehen, so erhöht sich die Chance, dass das Baby sich schnell beruhigen lässt. Die Mutter erlebt sich selbst als wirksam. Sie wird darin bestärkt, weiterhin prompt und angemessen auf ihr Kind zu reagieren. So sind erste Grundsteine für eine feinfühlige Mutter-Kind-Interaktion und damit eine sichere Bindung gelegt.

Stillen ist die natürliche Fortsetzung der Eltern-Kind-Bindung, die in der Schwangerschaft begonnen hat. Es ist ein nahe liegender Weg, um ein neues Gleichgewicht im aufreibenden Babyalltag zu finden. Durch das Stillen legt eine Mutter zudem immer wieder viele kleine Ruhepausen ein, in denen sie die Füße hochlegen und selbst etwas essen und trinken kann. Auch nachts ist es purer Luxus, nicht in die Küche gehen und Flaschen kochen zu müssen. Die Mutter kann ihr Baby im Halbschlaf anlegen, die Augen schließen, und während des Stillens weiterdösen. Stillen beruhigt und macht müde, so dass die Nächte trotz Babyversorgung mit möglichst wenig Unterbrechung einhergehen.

Natürlich ist der Stillalltag nicht immer rosarot. Egal, ob eine Frau stillt oder die Flasche gibt: Ein Babyalltag ist sehr anstrengend und jede Mutter muss aktiv für ihr eigenes Wohlbefinden sorgen. Unterstützung im Haushalt, liebevolle Mitmenschen oder kleine Auszeiten zum Auftanken sind Gold wert.

lalache

Kultur und Stillen: Während ich in Deutschland das Gefühl habe, dass man durchaus über ein Jahr stillen darf, erntet man hier in Paris und auch in London schiefe Blicke, wenn man ein „größeres“ Baby stillt, oftmals eigentlich auch schon, wenn man überhaupt stillt. In Frankreich scheint es mir, findet man Stillen okay, solange es nicht „messy“ wird bzw. nicht der Eleganz und dem Lifestyle schadet, und in England ist es zu intim. Ich kenne englische Mütter, die ihre Babys deswegen gar nicht stillen oder zwar zu Hause stillen, aber dann für draußen entweder abgepumpen oder Formula-Milch dabei haben. Im Kindergarten meiner Tochter in Paris sagte mir eine Mutter, dass sie ihren 2-jährigen Sohn deswegen abstillte, weil man es in Paris für pervers hielt. Dann kenne ich auch Mütter, die sehr traurig ihre 6 Monate alten Kinder abstillen, weil man nach 6 Monaten halt aufhört. Im Gegensatz dazu wurden einige meiner Cousins in Indien 5 Jahre gestillt, was für westliche Verständnisse absolut unglaublich ist. Selbst die WHO und Unicef Empfehlung von einer 2-jährigen Stilldauer (und 6 Monate Vollstillen) gelten oftmals als unwahrscheinlich lang. Gibt es so etwas wie eine optimale Stilldauer? Und wie macht man sich stark gegen die Meinung Anderer?

Wir Menschen sind stark von unserer Kultur und unserer Umwelt geprägt. Entsprechend unterschiedlich fühlt es sich an, was als „normal“ oder „nicht normal“ gilt. Die biologisch vorgesehene Norm ist eine Stilldauer, die über das Babyalter hinausgeht. Es gibt aber keine optimale Stilldauer. Gut ist, was sich individuell für jedes Mutter-Kind-Stillpaar gut anfühlt.

Sich stark gegen die Meinung anderer machen, das ist eine wirkliche Herausforderung. Gutgemeinte Ratschläge selbsternannter Experten können einen sehr verunsichern.
Es kann helfen, sich mit anderen stillenden Frauen auszutauschen, und sich gute Literatur zu suchen. Ein Gespräch mit einer LLL-Beraterin kann ermutigen, auf das eigene Gefühl zu vertrauen. Manche Frauen haben gute Erfahrung damit gemacht, möglichst sicher nach außen hin aufzutreten und selbstbewusst in der Öffentlichkeit zu stillen. Anderen Frauen geht es besser damit, das längere Stillen ins Private zu verlagern und anderen keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Ein ganz wichtiger Faktor ist auch der Partner. Rückendeckung durch den Vater des Kindes bestärkt enorm.

 

Stillen in der Öffentlichkeit: Auch da gibt es verschiedene Ansätze. In England habe ich Mütter gesehen, die in der Öffentlichkeit in (oftmals nicht besonders tollen) Toiletten verschwinden, um zu stillen. In bestimmten Berliner Bezirken sah ich dafür Mütter, die in der Mitte eines Cafes (fast provokant – so scheint es mir) ihre Brust rausholen oder sich fast gänzlich oben entblößen. Dann gibt es auch so etwas wie Stillvorhänge, die vorwiegend in Nordamerika genutzt werden und wie ein Duschvorhang um die Mutter gehängt werden. Die habe ich hier auch schon gesehen.

 

Was sind Ihre Tipps für diskretes, aber nicht übertrieben verdecktes Stillen in der Öffentlichkeit?
Jede Frau sollte so stillen, wie es sich für sie selbst gut anfühlt. Manche Frauen fühlen sich wohler, wenn sie vor Blicken geschützt sind. Andere stillen ganz frei und überall. Was diskret oder was übertrieben ist, bewertet jeder ganz unterschiedlich, da gibt es keinerlei Richtlinien. Es kommt auch sehr darauf an, wie geübt Mutter und Kind sind. In den ersten Wochen braucht eine Frau vielleicht mehr Rückzug und Ruhe, um ihr Kind gut anzulegen. Sind beide ein eingespieltes Stillteam, dann reicht es schon, bloß das T-Shirt ein wenig anzuheben, und schon ist das Kind angedockt, ehe irgendjemand es überhaupt mitbekommt.

 

Stichwort: Milchstau, Milcheinschuss, zu wenig Milch, zuviel Milch – Stillprobleme. Stillen ist eines der natürlichsten Dinge der Welt – und doch weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es vor allem am Anfang sehr, sehr schwer sein kann. Am Anfang, vor allem beim ersten Kind, kann Stillen erst einmal weh tun und Mütter, die unter Milchstau leiden, leiden besonders. Die Tipps meiner Hebamme und jetzt FindingSustainia Teammitglied Birgit haben mir z.B. sehr in der Anfangszeit geholfen. Was sind Ihre Tipps, um Stillproblemen entgegen zu wirken, sie vorzubeugen oder zu behandeln?
Besonders wichtig ist eine bequeme Stillposition, in der das Kind die Brust alleine suchen und ansaugen kann (siehe LLL-Infoblätter). In einer zurückgelehnten Stillposition, in der das Baby ohne Stillkissen o.ä. Bauch auf Bauch auf der Mutter liegt, kann es die Brust optimal greifen. Das Kind kann die Milch gut abtrinken und zugleich die Milchbildung optimal stimulieren. Stillen darf niemals wehtun! Schmerzen deuten immer darauf hin, dass etwas nicht stimmt, und die Mutter soll sich bitte direkt an die Hebamme und/oder eine ausgebildete Stillberaterin wenden.

 

Was halten Sie von Lecithin, ob von Soja oder Eigelb, als Prävention gegen Milchstau?
Die beste Präventionen gegen Milchstau sind:
a) eine gute Stillposition, damit das Kind alle Milchgänge abtrinken kann und die Brustwarze nicht abquetscht
b) oft und nach Bedarf von Mutter und Kind stillen
c) Ruhe: ganz viel ab aufs Sofa und ins Bett, ganz viel Babykuschelzeit, dafür ganz wenig Haushalt und ganz wenig Besuch.
Milchstau entsteht in erster Linie durch Stress. Wieso? Will ein Baby trinken, dann schüttet die Mutter zunächst Prolaktin aus. Dies bewirkt, dass Milch in den sog. Milchbläschen des Drüsengewebes gebildet wird. Nun wird noch das Oxytocin ausgeschüttet. Dieses bewirkt, dass die Muskeln rund um die Milchbläschen sich zusammenziehen. Die Milch wird durch den Druck in die Milchgänge ausgeschüttet und das Baby kann die Milch abtrinken. An dieser Stelle kommt der Stress ins Spiel: Steht die Mutter unter Stress (Termine, Besuche, zu viele Ratschläge, Verunsicherung…), schüttet sie Stresshormone aus. Diese sind die Gegenspieler des Oxytocins: Die Muskeln rund um die Milchbläschen kontrahieren nicht mehr, die Milch bleibt in den Bläschen und staut sich. Von daher ist Ruhe die allerbeste Prävention gegen Milchstau.

 

Welche Tees und Mittelchen helfen bei zu wenig und welche bei zuviel Milch?
Bei zu viel oder zu wenig Milch sollte sich jede Frau immer individuell beraten lassen, denn es können ganz unterschiedliche Ursachen vorliegen. Je nach Diagnose sind unterschiedliche Maßnahmen sinnvoll.

 

Wie schaffe ich eine ruhige und angemessene Atmosphäre zum Stillen?
Hilfreich ist es, vor allem in den ersten Wochen Besuch auszuladen. Hilfe im Alltag, für den Haushalt und zum Einkaufen ist wichtig. Ein gemütlicher Platz zum Stillen im Elternbett oder auf einem breiten Sofa ist wunderbar, am besten so abgesichert, dass man als Mutter nach dem Stillen auch direkt gemeinsam mit dem Baby schlafen kann. Es hilft zu wissen, dass sich das Stillen in den ersten Wochen so anfühlt, als würde man nichts anderes machen als Stillen. Schon Duschen oder Anziehen ist kaum möglich, oft findet man sich nachmittags noch im Schlafanzug auf dem Sofa. Das ist ganz normal!

 

Beruf und Stillen: Muss sich das wirklich widersprechen, wenn Mütter nach dem Mutterschutz wieder zurück zur Arbeit müssen bzw. wollen?
Viele berufstätige Mütter verbinden das Stillen mit der Arbeit. In Deutschland hat jede stillende Arbeitnehmerin das Recht auf zusätzliche Pausen. Sie kann sich ihr Baby entweder von der Betreuungsperson zum Stillen bringen lassen, oder die Milch abpumpen, kühlen und der Betreuungsperson für den nächsten Tag zum Füttern mitgeben. Viele berufstätige Mütter empfinden es als sehr wertvoll, das Stillen weiterhin beizubehalten. Nicht zuletzt als gemütliche Kuschelzeit mit dem Kind am Abend und in der Nacht, um die Trennungszeit zu kompensieren.

Wenn die Mutter nicht vollstillen möchte oder kann (vielleicht, weil Abpumpen nicht klappt), wie positiv wirkt sich teilweise stillen aus im Gegensatz zu gänzlicher Flaschennahrung?
Teilstillen ist eine wertvolle Alternative und das Baby profitiert auch teilgestillt von den gesundheitlichen Auswirkungen der Muttermilch.

 

Haben Sie Tipps zum Abpumpen?
Am besten ist es, vor der Rückkehr in den Job schon mal zu üben. Pumpen lässt sich gut direkt nach dem Stillen üben, wenn der Milchspendereflex noch vom Baby aktiviert ist. Manche Frauen kommen mit Handpumpen gut zurecht, andere mit elektrischen Versionen, wieder andere gewinnen die Milch von Hand. Eine Stillberaterin hilft gerne, individuelle Lösungen zu finden.

 

Stimmt es, dass Babys, wenn sie die falschen Flaschen oder gar überhaupt eine Flasche nehmen, Schwierigkeiten entwickeln an der Brust zu trinken? Welche Flaschen sind Ihrer Meinung nach am besten geeignet oder gibt es weitere Alternativen zur Flasche?
Es gibt keine richtigen oder falschen Flaschen, aber es gibt sehr gute Marketingstrategien, die genau das suggerieren. Ob ein Baby durch einen künstlichen Sauger irritiert wird oder nicht, hängt nicht vom Sauger ab, sondern vom Kind. Es gibt keine Flasche, die der Saugtechnik an der Brust auch nur nahe kommt.
Manche Babys wechseln problemlos zwischen Brust und Flasche. Und es gibt Babys, die durch die unterschiedlichen Saugtechniken irritiert sind und Probleme haben.
Bei der Auswahl des Flaschensaugers sollte man auf diese Punkte achten:
• Der Durchmesser der Lippenauflage sollte möglichst groß sein, damit die Lippen des Babys möglichst rund und nach außen aufgeschürzt liegen.
• Der Sauger muss formbar und weich sein.
• Das Loch des Saugers sollte möglichst klein sein.
Es hilft dem Baby, das Flasche füttern so stillähnlich wie möglich zu gestalten: Das Baby in engem Körperkontakt halten, Blickkontakt aufbauen. Die Flasche langsam füttern, kleine Pausen einbauen. Nach der Hälfte der Flasche die Seite wechseln, ähnlich wie beim Stillen.

Alternativen zur Flasche sollten bitte individuell mit einer Stillberaterin besprochen werden, denn sie hängen vom Alter des Kindes und der Dauer des Gebrauches ab.

 

Zahnen und Stillen: Viele Mütter möchten spätestens aufhören, wenn ihr Baby zu zahnen beginnt, aus Angst vor Bissen. Wie kann ich verhindern, gebissen zu werden? Kann man Babys erziehen, dass sie nicht beißen?
Normalerweise können Babys auch mit Zähnen genauso weiterstillen wie bisher. Während des Zahnens kann es vorkommen, dass Babys mal an der Brust beißen. Sie haben z.B. Schmerzen, spüren einen Druck, oder probieren aus, was mit den neuen Zähnen alles möglich ist. Es hilft dann, das Baby kurz von der Brust abzunehmen, „Nein“ zu sagen, und es dann wieder neu anzulegen. Alternativ geht es auch ganz gut, das Baby ganz eng an sich heranzuziehen und mit dem Finger auf sein Kinn zu drücken. So lockert es die Kiefer und lässt los. Während der Zahnungszeiten hilft es, das Kind beim Stillen gut zu beobachten und aufzupassen. Meist beißen sie gegen Ende des Stillens, so dass man es schon vorsorglich etwas früher von der Brust abnehmen kann. Zusätzlich am besten den Tag über ganz viel zum Beißen anbieten, z.B. Holzspielzeug, Beißringe, gekühlte Waschlappen, Brotrinden etc.

 

Kleinkinder und Grenzen: Ich kenne viele stillüberzeugten Mamas, die ans Ende ihres Lateins kommen, wenn fordernde 1-Jährige (oder älter) in der Öffentlichkeit im Minutentakt an der Kleidung zerren und Stillmahlzeiten einfordern. Viele hören spätestens dann auf oder machen zwar weiter, aber sind überhaupt nicht glücklich mit der Situation und machen es als „Pflichterfüllung“. Kann man „Spielregeln“ einführen, um einen Kompromiss zwischen Kind und Mutter zu finden und Stillen ein Vergnügen bleibt?

Ja, Spielregeln sind eine gute Lösung. Stillen soll sich für beide gut anfühlen, und nicht zur Pflichterfüllung werden.
Es verwirrt Kinder, wenn das Stillen in der Öffentlichkeit mal in Ordnung ist, die Mutter beim nächsten Mal aber genervt ist und nicht möchte. Wichtig ist es, dass die Mutter Klarheit und Sicherheit vermitteln kann. Und dass sie mit ihrem Kind weitere Möglichkeiten findet, wie beide zwischendurch gemeinsam auftanken können. Unterwegs sein ist oft stressig für ein kleines Kind. Viele Eindrücke prasseln auf es ein, es sucht über den Stillwunsch oft nach Ruhe.
Es ist ein hilfreicher Ansatz, wenn die Mutter zunächst bei sich anfängt und überlegt, wann das Stillen für sie stimmig ist und wann nicht. Ihre eigenen inneren Grenzen sind die Leitlinie für die Neugestaltung der Stillbeziehung. Auch hier kann ein Gespräch mit einer Stillberaterin helfen, sich dieser eigenen Grenzen sicher zu werden.
Mit einem größer werdenden Kind ändern sich die Bedürfnisse von beiden, von Mutter und Kind. Die eigenen inneren und äußeren Grenzen müssen immer wieder neu definiert werden. Das ist ein Prozess, der Zeit und Geduld braucht, Liebe und auch Großzügigkeit sich selbst gegenüber. Es muss nicht immer alles sofort funktionieren. Zu einem Prozess dürfen auch Frust und Genervtheit dazugehören.

 

Abstillen: Viele Muetter stillen oft mit Hilfe von Flasche und/oder Schnuller ab – muss das sein?
Das kommt auf das Alter des Kindes an. Stillt eine Frau im Babyalter ab, dann hat das Kind noch ein starkes Saugbedürfnis, das befriedigt werden muss. Stillt eine Frau ihr Kleinkind ab, dessen Saugbedürfnis schon stark gesunken ist, dann sind weder Schnuller noch Flasche nötig. Ein größeres Kind kann sich auch über Körperkontakt und neue liebevolle Rituale beruhigen.

 

Stimmt es, dass Kinder sich selber abstillen können? In welchem Alter passiert dies normalerweise?
Ja, das stimmt. Das haben bisher alle Menschenkinder zehntausende von Jahren hindurch geschafft, also schaffen sie es auch heute noch. Abstillen ist ein ganz normales Element der kindlichen Entwicklung, um das man sich keine Sorgen machen muss. Mutter und Kind meistern das.
Man geht als biologische Stillnorm des Menschen von einer Spanne zwischen zweieinhalb und sieben Jahren aus.

Wenn mir Stillen irgendwann zuviel wird, z.B. bei einem Kleinkind, wie stille ich am besten ab und passe auf, dass mein Kind sich nicht abgelehnt fühlt?

Kinder hilft es bei Veränderungen, wenn sie spüren, dass diese Neuerungen für die Erwachsenen in Ordnung sind. Dies gibt ihnen Orientierung. Für die bisherigen Stillrituale braucht es neue, liebevolle Rituale. Das Kind sollte spüren, dass das Stillen durch Neues ersetzt wird, und die Mutter ihm weiterhin liebevolle Zuwendung schenkt. Ein schrittweises Abstillen, in dem das Tempo des Kindes berücksichtigt wird, erleichtert den Umstellungsprozess.

 

Welche Grenzmomente (wie z.B. die Anfangszeit oder quengelnde Kleinkinder) gehen vorüber, in denen Abstillen nicht die einzige Lösung ist, wie es scheint?
Diese Grenzmomente sind am besten in einem Beratungsgespräch zu klären. Wo die eine Mutter nur kurzfristig erschöpft oder genervt ist, ist die andere Mutter komplett an ihren Grenzen angekommen. Hier kommen ganz viele individuelle Faktoren zusammen, die in einem Gespräch besprochen werden können.

 

Weitere Tipps und Tricks: Gibt es Antworten auf Fragen, die mir nicht eingefallen sind? Welche weiteren Tipps und Tricks haben Sie für Mutter und Kind.

Lassen Sie sich von Ihrem Gefühl leiten. Alle Eltern finden für sich und ihr Kind die Wege, die am besten zur Familie passen. Wenn Unsicherheiten zum Stillen auftreten, scheuen Sie sich nicht, möglichst früh um Hilfe anzufragen. Jede Frage ist willkommen!
Unsere Stillberaterinnen helfen gerne in den Stillgruppen sowie per Telefon oder Mail weiter.

Im Downloadbereich unserer Homepage finden Sie zudem kostenfreies Informationsmaterial zu häufigen Stillproblemen.

Auf unserer Homepage  haben wir auch eine Reihe an lesenswerten Büchern zusammengestellt. Mit einem Kauf in unserem Shop unterstützen Sie die ehrenamtliche Arbeit unserer Stillberaterinnen. Der Gewinn kommt komplett dem Verein zu Gute.

 

Wow, das war wirklich ein sehr, sehr langes Interview. Aber ich konnte einfach nicht aufhören zu fragen.

Vielen, vielen Dank Frau Afgan. Ich bin mir sicher, dass nicht nur ich etwas von Ihnen lernen konnte.

Wie geht es euch beim Stillen und seid ihr überrascht von der einen oder anderen Antwort? Ich freue mich auf eure Rückmeldungen.

Santa

tt30-logo

Weitere Infos und jede Menge Interaktion findet Ihr auch auf der Facebookseite “Finding Sustainia“, über Twitter unter @Finding_S und über den Blog der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome


14 Antworten zu “Wie lange, wie oft und warum überhaupt stillen? – Interview mit Stillberaterin J. Afgan”

  1. meine damalige frau hat alle kinder egal wie alt aus ihrer brust nuckeln lassen auch ich bekamm früh und abends ihre brust sie hatte 20 jahre durchgehend milch der längste gestillte war ich und die älteste – heinzottofranke@yahoo.de ich suche nun kontakt zu frauen figur und aussehen egal mailen und mehr – wohne in brandenburg bin 64 jahre

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert